Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
die einschlägigen Erfahrungen austauscht, geht die Sache weniger gut aus: Zwar wird die Anklage auf Verstoß gegen die religiöse Moral fallengelassen, doch werden Baudelaire, sein Verleger Poulet-Malassis und der Drucker Debroise wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral sowie gegen die Sittlichkeit verurteilt. Sechs von den hundert Gedichten des Bandes müssen getilgt werden, die Geldbuße beträgt 300 Franc für Baudelaire, je 100 Franc für die beiden anderen Angeklagten, die Gerichtskosten müssen von den drei Angeklagten gemeinsam erstattet werden. Da Baudelaire über keine ausreichenden Mittel verfügt, um die ihm auferlegte Strafe zu bezahlen, schreibt er an Kaiserin Eugénie mit der Bitte, sich zu seinen Gunsten beim Justizminister zu verwenden. Und wenige Monate später, im Oktober 1857, verfasst er seine enthusiastische Rezension der Madame Bovary , die in dem Satz über die »unmoralische« Ehebrecherin gipfelt: »Diese Frau ist wirklich groß.«
Flaubert hat seinen Prozess nie vergessen, ihn vielmehr als weiteres Beispiel der allgemeinen Dummheit betrachtet. Als er 1873 die »definitive Ausgabe« seiner Madame Bovary vorbereitet, entscheidet er sich, in dem Band auch die Prozessdokumente zu veröffentlichen. Die vorliegende Übersetzung enthält Plädoyers und Urteil in genau der Form, wie Flaubert sie angeordnet hat. So kann sich der Leser ein Bild davon machen, worin für die Zeitgenossen und für die Justiz des Zweiten Kaiserreichs das Skandalon dieses Romans bestand.
Als Fazit wäre zu sagen, dass der Prozess der Madame Bovary (ebenso wie der der Blumen des Bösen wenige Monate später) keineswegs nur ein Fall der Gerichtschronik war, sondern die justizförmige Gestalt der großen Auseinandersetzung um die moderne Kunst. Literarisch gesehen, haben dabei Staatsanwalt und Verteidiger auf ironische Weise die Rollen vertauscht. Staatsanwalt Pinard spürte sehr richtig, dass es in Flauberts Roman in puncto der traditionellen Moral nicht mit rechten Dingen zuging, doch er vermochte weder zu analysieren noch zu benennen, woran das lag. So blieb ihm nichts, als Flaubert die Verherrlichung des Ehebruchs vorzuhalten; er suchte, wie schon die Herausgeber der Revue de Paris , nach verfänglichen Stellen, ohne zu verstehen, was Flaubert auch diesen schon verraten hatte: »Sie kämpfen gegen Details, das Ganze müssen Sie angreifen. Das Brutale liegt in der Tiefe und nicht an der Oberfläche.«
Damit aber machte er es dem Verteidiger Senard leicht, denn eine solche Verherrlichung ist Madame Bovary ganz sicher nicht, und Senard konnte mit gespielter Naivität so tun, als handle es sich, im Gegenteil, um das strenge und erbauliche Buch über eine hart bestrafte Ehebrecherin – was es natürlich noch deutlich weniger ist. Senards Plädoyer ist eine brillante Verteidigungsleistung; gerecht aber wird es dem Roman im Grunde genausowenig wie Pinards Anklage. Was der Staatsanwalt spürte, aber nicht benennen konnte, war, dass der Roman von Anfang an mit großem Verständnis dem Weg der Emma Bovary folgt und dennoch jedes moralische Urteil – positiv oder negativ – verweigert. In diesem modernen Sinne ist Madame Bovary tatsächlich ein amoralisches Buch, Pinard aber vermochte es nur als unmoralisches zu deuten. Die moderne Romankunst macht es sich seit Flaubert zum Ziel, die Welt zu zeigen, wie sie ist, nicht aber, sie nach den Wünschen einer Moral einzurichten, die außerhalb der Kunst liegt. Flaubert hat den Prozess gewonnen, Baudelaire den seinen kurz darauf verloren, und noch Flauberts Freund und Schüler Guy de Maupassant musste 1880, in Flauberts Todesjahr, mit dem Gedicht »Une fille« denselben Weg vor die Richter antreten. Die moderne Literatur hatte noch einen langen Weg vor sich. »Das moralische Urteil aufheben bedeutet nicht die Immoralität des Romans, sondern seine Moral «, schreibt Milan Kundera in seinem Essay Verratene Vermächtnisse (1994). »Die Schaffung eines imaginären Raums, in dem das moralische Urteil aufgehoben ist, war eine Leistung von unermesslicher Tragweite: nur dort können Romanfiguren sich entfalten, das heißt Individuen, die nicht mit Rücksicht auf eine bereits existierende Wahrheit erdacht wurden, als Beispiele für das Gute oder das Böse oder als Verkörperung objektiver, aufeinanderstoßender Gesetze, sondern als autonome, auf ihre eigene Moral, ihre eigenen Gesetze gegründete Wesen.« Für den modernen Roman hat das Flauberts Madame Bovary geleistet.
Diese Frau
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