Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Ende des Jahres wird die Staatsanwaltschaft aktiv. Da die Strafverfolgung vom Innenministerium ausgeht, versuchen Flaubert und die Herausgeber zunächst noch, einen Prozess mit Hilfe einflussreicher Persönlichkeiten zu verhindern. »Ich brauche vor allem Leute, die bedeutend sind durch ihr Amt und die versichern, dass mein Gewerbe nicht darin besteht, Bücher für hysterische Köchinnen zu schreiben«, erklärt er am 31. Dezember 1856 dem Dramatiker Émile Augier und bittet ihn, sein Vater möge beim Neujahrsempfang des Kaisers in den Tuilerien zu seinen Gunsten intervenieren. Auch die Familie Flaubert wird eingeschaltet. »Wichtig war und ist immer noch, auf Paris durch Rouen Druck auszuüben«, schreibt er am 3. Januar 1857 seinem Bruder Achille. »Im Innenministerium muss man erfahren, dass wir in Rouen das sind, was man eine Familie nennt, also dass wir tiefe Wurzeln im Land haben und dass man, wenn man mich angreift, noch dazu wegen Unmoral, sehr viele Leute verletzt.« Auch hochgestellte Damen verwenden sich für Flaubert, »vor allem die Fürstin von Beauvau, die eine fanatische Bovarystin ist und zweimal bei der Kaiserin war, um die Einstellung der Strafverfolgung zu erwirken« (6. Januar 1857 an Achille Flaubert). Kein Wunder, dass Kaiserin Eugénie ein Herz für Literaten hat, saß sie doch als kleines Mädchen auf den Knien von Monsieur Henri Beyle, alias Stendhal, und lauschte seinen Geschichten über Napoleon I.
Mitte Januar, Flaubert war inzwischen auch bei dem Untersuchungsrichter Achille Treilhard vorgeladen, sieht es ganz so aus, als würde die Strafverfolgung eingestellt: »Ich zweifle nicht am Erfolg, die Sache war zu dumm. Ich werde also meinen Roman in Buchform veröffentlichen können. In etwa sechs Wochen bekommen Sie ihn, denke ich, und zu Ihrer Belustigung will ich Ihnen die inkriminierten Stellen anstreichen. Eine davon, die Beschreibung einer Letzten Ölung, ist nichts anderes als eine Seite aus dem Rituale von Paris , ins Französische gebracht; aber die guten Leute, die über den Fortbestand der Religion wachen, sind nicht sehr beschlagen im Katechismus«, antwortet Flaubert am 14. Januar optimistisch Élisa Schlésinger, die sich nach dem Stand der Dinge erkundigt hatte. Doch zwei Tage später ist alles anders. Léon Laurent-Pichat, Herausgeber der Revue de Paris , Auguste Pillet, sein Drucker, und Gustave Flaubert müssen vors Strafgericht, sie sind angeklagt wegen »Verstoßes gegen die öffentliche und religiöse Moral sowie gegen die Sittlichkeit«. Das sind Vergehen gemäß Artikel I des Gesetzes vom 17. Mai 1819, die nach Artikel 59 und 60 des Strafgesetzbuches geahndet werden.
Flaubert befindet sich während all dieser Wochen natürlich in Paris und hält seinen Bruder Achille über die Ereignisse auf dem laufenden, nicht ohne galligen Humor: »Ich erwarte jede Minute das Stempelpapier, das mir den Tag angibt, an dem ich mich (wegen des Verbrechens, französisch geschrieben zu haben) auf die Bank der Gauner und Päderasten setzen muss« (16. Januar 1857). – »Ich werde ein Bund Stroh kaufen und Ketten. Und dann lasse ich mein Porträt malen ›auf dem feuchten Stroh der Verliese, in Eisen gelegt‹!!!« (20. Januar 1857).
In den zwei Wochen vor dem Prozess bittet Flaubert verschiedene Freunde um »Stellen« aus der Literatur, die deutlicher, gewagter, anstößiger sind als Madame Bovary ; seinem Bruder erklärt er die verfolgte Strategie: »Einstweilen bereite ich mein Memorandum vor, das nichts anderes ist als mein Roman. Doch an den Rand, den inkriminierten Seiten gegenüber, will ich lästige, den Klassikern entnommene Zitate stellen, um durch diesen einfachen Vergleich zu beweisen, dass es seit dreihundert Jahren in der französischen Literatur keine Zeile gibt, die nicht ganz genauso gegen Sittlichkeit und Religion verstößt. Mach Dir keine Sorgen. Ich werde gelassen sein. Bei der Verhandlung nicht zu erscheinen, das wäre ein Zurückweichen. Ich werde nichts sagen. Aber ich werde neben Vater Senard sitzen, der mich brauchen wird, und außerdem muss ich dem Volk meine Kriminellenvisage zeigen« (20. Januar 1857).
Der Anwalt Jules Senard, normannischer Großbürger und brillanter Redner, hat Flauberts Verteidigung übernommen. Ihm gegenüber macht der Ankläger Ernest Pinard, fünfunddreißig und am Anfang einer aussichtsreichen Karriere, in seinem Plädoyer rhetorisch und intellektuell keine allzu gute Figur. Beide halten ihre Plädoyers in der Verhandlung vom 29.
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