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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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um in die Sprechstunde zu gehen, so groß war das Ansehen des Herrn Homais in den umliegenden Dörfern. Seine unerschütterliche Dreistigkeit hatte die Landleute beeindruckt. In ihren Augen war er ein größerer Arzt als alle Ärzte.
    Emma lehnte an ihrem Fenster (hier stand sie oft: das Fenster, in der Provinz, ersetzt Theater und Promenade) und ergötzte sich am Gewimmel all dieser Tölpel, da erblickte sie einen Herrn in grünsamtenem Gehrock. Er trug gelbe Handschuhe, obwohl seine Füße in derben Gamaschen steckten; und er schritt auf das Haus des Arztes zu, gefolgt von einem Bauern, der mit gesenktem Kopf und bedächtiger Miene einherging.
    »Dürfte ich Monsieur sprechen?« fragte er Justin, der vor der Tür mit Félicité plauderte.
    Und da er ihn für den Hausdiener hielt:
    »Bestellen Sie, Monsieur Rodolphe Boulanger von La Huchette sei da.«
    Nicht aus Grundbesitzerdünkel hatte der Ankömmling seinem Namen das von hinzugefügt, sondern um sich vorzustellen und bekannt zu machen. La Huchette nämlich war ein Landgut unweit von Yonville, dessen Schloss er vor kurzem gekauft hatte, zusammen mit zwei Gehöften, die er selbst bewirtschaftete, ohne sich jedoch übermäßig anzustrengen. Er führte ein Junggesellenleben und stand in dem Ruf, er habe Einkünfte von wenigstens fünfzehntausend Livre!
    Charles trat in die große Stube. Monsieur Boulanger zeigte ihm seinen Mann, der zur Ader gelassen werden wollte, denn er spüre ein Ameisenkribbeln am ganzen Körper .
    »Das wird mich reinigen«, erwiderte er auf alle Einwände.
    Bovary also gab Anweisung, Binde und Schüssel zu bringen, und bat Justin, sie zu halten. Dann zu dem bereits bleich gewordenen Dörfler:
    »Keine Angst, guter Mann!«
    »Nein, nein«, antwortete der, »machen Sie nur!«
    Und mit großschnäuziger Miene streckte er ihm seinen dicken Arm entgegen. Unter dem Lanzettenstich schoss das Blut hervor und spritzte bis zum Spiegel.
    »Her mit der Schale!« befahl Charles.
    » Oha! « sagte der Bauer, »schaut aus wie eine kleine sprudelnde Quelle! Und so schön rot ist mein Blut! bestimmt ein gutes Zeichen, oder?«
    »Manchmal«, erklärte der Sanitätsbeamte, »spürt man am Anfang gar nichts, und dann kommt plötzlich die Ohnmacht, besonders bei kräftigen Mannsbildern wie dem hier.«
    Der Landmann ließ bei diesen Worten das Futteral fallen, das er zwischen den Fingern drehte. Mit einem Ruck seiner Schultern krachte er gegen die Sessellehne. Sein Hut fiel vom Kopf.
    »Ich hab’s ja geahnt«, sagte Bovary und drückte den Finger auf die Vene.
    Die Schüssel in Justins Händen begann zu zittern; seine Knie wankten, er wurde blass.
    »Meine Frau! Wo ist meine Frau!« rief Charles.
    Mit einem Satz war sie die Treppe herunter.
    »Essig!« schrie er. »Ach du lieber Gott, gleich zwei auf einmal!«
    Und in seiner Aufregung hatte er Mühe, die Kompresse anzulegen.
    »Alles halb so schlimm«, sagte Monsieur Boulanger gelassen, während er Justin auffing.
    Und er setzte ihn auf den Tisch, mit dem Rücken gegen die Wand.
    Madame Bovary machte sich daran, ihm die Halsbinde zu lockern. Die Bänder an seinem Hemd waren verknotet; ein paar Minuten waren ihre schlanken Finger am Hals des Jungen beschäftigt; dann goss sie Essig auf ihr Batisttaschentuch; sie betupfte ihm leicht die Schläfen und blies sanft darüber.
    Der Fuhrknecht erwachte; Justins Ohnmacht aber dauerte an, und seine Iris verschwanden im Augenweiß wie blaue Blumen in Milch.
    »Das hier«, sagte Charles, »sollte er besser nicht sehen.«
    Madame Bovary nahm die Schüssel. Um sie unter den Tisch zu stellen, bückte sie sich und machte eine Bewegung, bei der ihr Kleid (es war ein Sommerkleid mit vier Volants, gelb, lange Taille, weiter Rock), bei der ihr Kleid sich auf den Fliesen der Stube glockig um sie rundete; – und da Emma in gebeugter Haltung ein bisschen schwankte und die Arme spreizte, fiel der bauschige Stoff hier und dort in sich zusammen, je nachdem, wie sie ihren Oberkörper drehte. Dann holte sie eine Karaffe Wasser und löste gerade den Zucker, als der Apotheker eintrat. Im allgemeinen Durcheinander war die Magd ihn rufen gegangen; als er seinen Schüler mit offenen Augen dasitzen sah, schnappte er nach Luft. Anschließend lief er um ihn herum, musterte ihn von oben bis unten.
    »Narr!« sagte er; »kleiner Narr, wirklich! Narr mit vier Buchstaben! Eine Lappalie, im Grunde, so eine Phlebotomie! und ein Bursche, der vor nichts Angst hat! ein regelrechtes Eichhörnchen, das aus

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