Madame Butterflys Schatten
Pinkertons Sprache.
Sharpless überlegte, dass das Geld von Pinkerton allmählich zur Neige gehen musste. Er wollte Cho-Cho helfen und behauptete, ihr abwesender Ehemann hätte erneut Geld geschickt. Sie nahm es nicht an. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubte, gegen die Logik ihrer Begründung kam er jedenfalls nicht an.
»Ich warte, bis er zurückkommt, es ist nicht … richtig so.«
Sharpless vermutete, dass es die Beziehung in ihren Augen auf einen bloßen Handel reduzierte, wenn sie eine schnöde Abfindung annahm. Sie war schließlich Pinkertons Ehefrau. Oder etwa nicht?
In der Zwischenzeit sann sie mit großem Einfallsreichtum auf Mittel und Wege, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Ein mit ihrem Vater befreundeter Zoologe hatte ihr einmal erklärt, die Raupen des Seidenspinners seien ebenso nahrhaft wie Huhn. Ihr Vater hatte trocken erwidert, da brauche man aber eine beträchtliche Zahl von Seidenraupen, um auf eine Hühnerbrust zu kommen. Es gab jedoch nichts, was sie nicht ausprobiert hätte, um ihren kleinen Sohn zu versorgen. Sie pflückte die Kokons von dem weißen Maulbeerbaum, der neben ihrem Haus stand, schnitt sie auf und kochte die Raupen mit verschiedenen Gewürzen. Sie grub den Garten um und baute Gemüse an; die Beete, in denen einst Blumen geblüht hatten, lieferten ihr jetzt Nahrung. Sie hielt Hühner. Sie lernte angeln, als Köder verwendete sie Napfschnecken, die sie von den Felsen sammelte. Andere Schnecken kochte sie. Doch etwas gab es, wofür ihr keine Lösung einfiel: Sie konnte es sich nicht mehr leisten, Suzuki zu beschäftigen. Alles, was irgendwie von Wert war, hatte sie versilbert, nun war kein Geld mehr übrig, und all ihre Erfindungsgabe reichte nicht aus, um das Loch in ihrer Tasche zu stopfen.
Damit stand sie vor einem grundlegenden Problem: Sie musste eine Möglichkeit finden, wie sie auseinandergehen konnten, ohne dass eine von ihnen das Gesicht verlor.
Cho-Cho wartete, bis es an der Zeit war, den Säugling zu baden, ein entspannter Moment, in dem sie beide mit dem kleinen Jungen beschäftigt waren. Zunächst kam sie auf ihre Sorge um Suzukis Gemütszustand zu sprechen, sagte, wie leid es ihr täte, dass sie ein so zurückgezogenes Leben führten, in dem ein Tag um den anderen ereignislos verstrich.
»Du musst dir in diesem kleinen Haus wie eine Gefangene vorkommen, deine Fähigkeiten verkümmern hier. Ich muss mich wirklich bei dir entschuldigen, Suzuki.«
Sie nahm das Handtuch, das ihr das Dienstmädchen reichte. »Sharpless-san hat mir von einer Familie berichtet, die vor Kurzem aus Italien gekommen ist, sie wohnt in einem der großen Häuser auf der anderen Seite des Hafens …«
Der Vater sei in der Seidenbranche tätig und viel unterwegs, um Fabriken in der Provinz zu besichtigen. Die italienische Ehefrau suche jemanden, der ihr half, die beiden kleinen Kinder zu versorgen.
»Sharpless-san würde dir eine ausgezeichnete Empfehlung schreiben. Das wäre eine gute Gelegenheit …« Und so weiter und so fort.
Suzukis sanftes, rundes Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Sie nickte. Sie kannte die Feinheiten gesellschaftlicher Verstellung. Sie erklärte, wie dankbar sie Cho-Cho-san sei und auch Sharpless-san, weil er so freundlich gewesen war, auf die italienische Familie hinzuweisen.
»Ich werde mich unverzüglich erkundigen …« Dann nahm sie den Säugling hoch, um ihn schlafen zu legen. Sie wusste, was ihre Herrin ihr in Wahrheit sagen wollte, und Cho-Cho wusste, dass sie es wusste. Aber die Form war gewahrt worden.
Wenige Tage später verkündete Suzuki, sie habe Arbeit gefunden. Nicht bei der italienischen Familie, sondern in einer Seidenspinnerei am Stadtrand. Sie sei Sharpless-san überaus dankbar: Er habe ihr mit seinem Hinweis auf die italienische Familie sehr geholfen. Es sei eine große Chance, sie schulde Cho-Cho-san Dank dafür, dass sie sie darauf aufmerksam gemacht hatte … Und so weiter und so fort.
Dann, nach einem kurzen Zögern, einem schüchternen Blick: Ob Cho-Cho-san wohl die Freundlichkeit besäße, ihr zu erlauben, weiterhin den Schlafplatz im hinteren Teil des Hauses zu benutzen – nur für eine Weile?
»Die Schichten in der Fabrik sind glücklicherweise sehr lang, sodass ich hier nicht im Weg bin.« Und so weiter und so fort.
Cho-Cho wusste, was das Dienstmädchen ihr in Wahrheit sagen wollte, und Suzuki wusste, dass sie es wusste. Es wurde kein Wort darüber verloren, alles war gesagt, die Übereinkunft getroffen: Suzuki würde
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