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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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mit ihm unterhielt.
    »Sharpless-san, wo ist mein Ehemann?«
    Ja, wo war Pinkerton? Er hatte keine Ahnung und murmelte irgendetwas von den Unwägbarkeiten des Seemannslebens. Der Leutnant konnte überall und nirgends sein.
    »Gut. Dann warte ich.«
    Sharpless lernte zu heucheln. Zurück in der Stadt, veranlasste er in aller Stille eine weitere Verlängerung des Mietvertrags und erklärte dem Eigentümer, das Geld sei aus Amerika gekommen.
    Der Heiratsvermittler hatte sich in Geduld geübt und das Haus über dem Hafen im Auge behalten. Eines Morgens stand er mit einem breiten Lächeln vor der Tür und verkündete Cho-Cho, er habe einen Bewerber für sie, einen Kunden. Wortlos schob sie ihm die Tür vor der Nase zu.
    »Sei doch vernünftig!«, rief er. Pinkerton war fort, und das war den Leuten hier einerlei.
    »Zum Glück schwimmen dort, wo er hergekommen ist, noch viele Fische im Teich, du kannst dir einen aussuchen, der dir gefällt.«
    Für Cho-Cho gab es jedoch keinen anderen als Benjamin Franklin Pinkerton; sie hatte bereits einen Ehemann.
    »Eigensinn ist bei einer Frau keine Tugend!«, rief der Heiratsvermittler wütend.
    Er war bereits auf dem Weg zur Straße, als sich die Tür wieder öffnete und Cho-Cho seinen Namen rief. Freudestrahlend machte er kehrt.
    »Ich kann dir ein paar gute Angebote unterbreiten.«
    Doch es war sie, die ihm ein Angebot unterbreitete.
    »Für die jungen Frauen in Nagasaki, die einen gaijin ›heiraten‹, wäre es von Vorteil, wenn sie ein paar Worte Englisch sprechen.«
    Gegen ein geringes Entgelt könne sie ihnen Unterricht erteilen. Außerdem könne sie ihnen etwas über die amerikanische Kultur beibringen, das werde ihren Ehemännern auf Zeit sicher gefallen.
    Der Heiratsvermittler nahm kein Blatt vor den Mund: Das, wonach den ausländischen Kunden der Sinn stehe, seien gewiss nicht Vokabeln und Kultur. Es würde den Reiz potenzieller junger »Ehefrauen« nicht unbedingt erhöhen, wenn sie sie in solchen Dingen unterwies. Sie dagegen hätte Reize zu bieten, die –
    Cho-Cho schloss die Tür.
    Sie ließ sich auch nicht erweichen, als er einige Tage später erneut auftauchte und ihr verkündete, ein älterer Herr, ein Kaufmann aus Nagasaki, der einen Erben brauche, sei bereit, eine echte Ehe mit ihr einzugehen, eine dauerhafte Verbindung. Bei seinem nächsten Besuch gab Sharpless vorsichtig zu bedenken, sie solle sich dieses letzte Angebot vielleicht noch einmal durch den Kopf gehen lassen; die Sicherheit, die eine solche Ehe biete, sei einer Zukunft als alleinstehende Frau doch bestimmt vorzuziehen.
    Sie drehte sich zum Fenster und blickte hinunter auf den Hafen. Mit funkelnden Augen starrte sie auf das blanke Meer, als könnte sie durch schiere Willenskraft ein Schiff herbeizaubern, aus Wasser Metall schmieden und es über den gekrümmten Horizont in ihre Richtung lenken. Und sie wiederholte die Worte, die er bereits zur Genüge kannte: Sie wisse, dass ihr Ehemann zurückkomme.
    »Eines Tages, wenn die Schwalben ihre Nester bauen, wird sein Schiff in den Hafen einlaufen. Das hat er gesagt.«
    Als Vertrauensbeweis ließ Cho-Cho in ihrem Garten auf einem schmalen Streifen weiterhin Blumen wachsen – »mein amerikanisches Blumenbeet!« Inmitten dichter Reihen Gemüse ragten leuchtend orange- und rosafarbene Blüten empor und wiegten sich fröhlich im Wind.
    Doch als Wochen und Monate ins Land zogen, als die drückende Hitze Nebel und Schnee wich, als sie ihre Hände an dem kleinen Kohlebecken unter dem Tisch wärmte und die filigranen Silhouetten der Schwalben zum zweiten Mal den Himmel verdunkelten, ohne dass sein Schiff in den Hafen einlief, da fing sie an, dünner zu werden, und die Blumen, sich selbst überlassen, verkümmerten. Die bunten Blüten verblassten und verwelkten und wurden wieder zu Erde.

Kapitel 6
    SHARPLESS WAR NICHT in seinem Büro, als Pinkerton das Konsulat aufsuchte.
    Er hinterließ eine Nachricht, dass er später wiederkommen werde, und begab sich mit dem jungen Leutnant Jensen, der zum ersten Mal fern der Heimat war, auf einen Streifzug durch die Stadt, übernahm die Rolle des Führers, so wie es drei Jahre zuvor Eddie bei ihm getan hatte. Auf ihrem Weg durch das von beißenden Gerüchen erfüllte Marktviertel kommentierte Pinkerton die Zeichen des Fortschritts, der seit seinem ersten Besuch stattgefunden hatte: »Die haben sich ein Feuerwehrauto zugelegt! Zu meiner Zeit bestand der Löschzug aus einem Mann, der mit einer roten Papierlaterne vor einer

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