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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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Rikschafahrer, schneller zu fahren, und entschuldigte sich: Selbst unter diesen Umständen musste die Form gewahrt bleiben. Abgesehen davon fürchtete er, dass Eile sowieso nicht mehr viel nutzte, mit ziemlicher Sicherheit würde er zu spät kommen.
    Am liebsten wäre er ausgestiegen und gerannt, aber er wusste, dass ihn seine Beine nicht schneller ans Ziel bringen würden als der schwitzende Rikschafahrer, auch wenn er dann trotzdem rannte, als sie an dem letzten steilen Wegstück angelangt waren.
    Seine Muskeln schmerzten, seine Schuhe drückten, und er rang keuchend nach Atem, als er schließlich die s hoji -Tür aufschob und die beiden Frauen vor sich sah, Cho-Cho zusammengesunken auf dem Boden und über sie gebeugt Suzuki, den Blick starr auf den roten Schal um ihren Hals gerichtet, auf das Blut, das den Stoff durchtränkt hatte und sich wie eine wehende Flagge über den weißen Seidenkimono und die tatami- Matte ausbreitete.
    Er fiel auf die Knie und besah sich die Wunde, aus der dunkles Blut quoll. Neben ihm lag der zierliche Dolch – die Klinge kaum mehr als zehn Zentimeter lang. Sharpless erkannte die traditionelle Waffe, kaiken , mit der sich eine entehrte Frau das Leben nahm, klein genug, um sie in ihrer Schärpe zu verbergen, bis sie sie brauchte.
    Cho-Chos Haut lag unter einer dicken Schicht weißer Schminke verborgen, ihre rot umrandeten Augen waren geschlossen. War das eben ein schwacher Atemzug gewesen? Rasch erteilte er Suzuki Anweisungen, sagte, sie solle Hilfe holen, aber Suzuki wusste, dass ihre Herrin das nicht gewollt hätte. Reglos verharrte sie auf den Knien, bis Sharpless sie wütend anbrüllte und ihr eine Ohrfeige gab. Erst dann sprang sie auf und rannte davon.
    Der Arzt in dem Krankenhaus, in das sie Cho-Cho gebracht hatten, sah sehr jung aus – Sharpless nahm an, dass er erst vor Kurzem seine Zulassung erhalten hatte. Der Kittel war ihm zu groß, schlotterte um seine schmächtige Gestalt. Als er den blutdurchtränkten Schal anhob, der die dunkle, verkrustete Wunde an Cho-Chos Kehle verbarg, verhärtete sich seine Miene einen Moment. Dann gab er einer Krankenschwester ein Zeichen, und sie führte Sharpless hastig aus dem Untersuchungszimmer.
    Schweigend wartete er mit Suzuki auf dem dämmrigen Krankenhausflur: zwei von Furcht erfüllte Menschen, die nach außen hin Fassung bewahrten. Leute gingen vorbei: das Krankenhauspersonal mit raschen, zielstrebigen Schritten, die Patienten humpelnd; hin und wieder blieben sie stehen und suchten mit den Fingerspitzen Halt an der Wand.
    Es dauerte geraume Zeit, bis sich die Tür wieder öffnete und der Arzt erschien, dunkle Flecken auf seinem Kittel.
    Sharpless erhob sich. Auf Japanisch sagte er: »Darf ich fragen …?«
    »Sie ist außer Gefahr.«
    Dann, auf Englisch mit japanischem Akzent: »Ich nehme an, Sie kennen das Mädchen?«
    »Ich bin ein Freund der Familie. Henry Sharpless.« Er verbeugte sich. »Und Sie sind …?«
    »Doktor Sat ō .«
    Ein langer, ruhiger Blick. Sharpless war klar, dass gleich ein paar unangenehme Fragen folgen würden, und kam ihnen zuvor.
    »Ein äußerst bedauerlicher Unfall.«
    Der Arzt blickte gedankenverloren auf den Boden. Nach einer Weile sah er Sharpless an, dann Suzuki neben ihm. Er legte den Kopf schief, hob die Augenbrauen.
    »Ein Unfall.«
    Schweigen. »Wir benötigen einige Angaben …«
    »Sie können mich jederzeit im amerikanischen Konsulat erreichen«, erwiderte Sharpless.
    Er merkte, dass der junge Arzt ein bisschen auftaute. »Gut.« Ein bestätigendes Nicken. »Ich habe in Los Angeles studiert, an der Universität von Kalifornien, und an der School of Medicine in Irvine.« Die Reaktion des Arztes beim Anblick von Cho-Chos Verletzung hatte Sharpless überrascht. Jetzt wurde ihm einiges klar – ein intelligenter junger Mann, der nach Amerika geschickt wird, als nach westlichen Maßstäben ausgebildeter Arzt zurückkehrt und sich plötzlich mit den blutigen Fakten eines traditionellen Selbstmords konfrontiert sieht.
    Sharpless verbeugte sich und setzte zu den üblichen Dankesformeln an, doch der Arzt unterbrach ihn.
    »Sie können sie später besuchen.« Mit einer kurzen Verbeugung wandte er sich zum Gehen.
    Sharpless und Suzuki waren wieder allein, umgeben von Schmerzenslauten, von Schreien, Stöhnen, Seufzen und den kurz angebundenen Anweisungen des Personals. Jetzt konnten sie nur noch warten.
    Stunden vergingen, bevor man sie endlich an Cho-Chos Bett ließ. Man hatte sie verbunden und gewaschen,

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