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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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an!« Belustigt deutete sie auf den grünlich weißen Klecks.
    »Das ist nicht gerade vornehm!«
    Sie kicherte fröhlich, und dieses kindliche Lachen erinnerte Suzuki daran, dass Cho-Cho die Jüngere von ihnen beiden war, noch nicht einmal zwanzig. Unter normalen Umständen, dachte das Dienstmädchen, verdiente ein Häufchen Vogelmist wohl kaum so viel Beachtung, die Umstände waren jedoch alles andere als normal, und der Hauch von Farbe auf Cho-Chos Wangen, die nach oben gerichteten Mundwinkel zeigten ihr, dass sie ins Leben zurückkehrte.
    »Vielleicht will er damit zum Ausdruck bringen, was er von meinem Reis hält«, sagte Suzuki. Sie verbeugte sich vor dem Vogel. »Morgen werde ich mir mehr Mühe geben, edler Herr.«
    In den folgenden Tagen wurde der Fink zu einem regelmäßigen Gast und nahm außer dem Reis von Suzuki gesammelte Samen und Beeren entgegen. Während er sich an den Gaben gütlich tat, aß Cho-Cho gedankenverloren nach und nach die kleinen Teller leer, die Suzuki neben sie stellte.
    Eines Tages blieb der Fink aus. Der Himmel war schwarz von Zugvögeln, die zum Überwintern in den Süden aufbrachen. Cho-Cho blickte hinauf zu den Schwärmen, die über ihrem Kopf dahinzogen, und überlegte einen Moment, ob sich vielleicht aus einem davon ein Vogel lösen und kurz herabstoßen werde, um sich mit einem Flügelschlag von seiner Gönnerin zu verabschieden, aber der Schwarm zog weiter und entschwand ihrem Blickfeld.
    Suzuki war auf der Hut; sie hatte Angst davor, was eine erneute Enttäuschung anrichten könnte, ein weiterer Abschied, der den Schmerz umso heftiger wiederaufleben ließ. Cho-Cho blickte noch eine Weile in die Ferne, über den Hafen hinweg zu der Stelle, wo Himmel und Meer aufeinandertrafen.
    »Die Vögel müssen uns verlassen, um zu überleben«, sagte sie.
    Am nächsten Tag erklärte sie, sie könne jetzt kräftigere Kost zu sich nehmen.
    Sie war Sharpless nicht dankbar dafür, dass er ihr das Leben gerettet hatte. Ins Leben zurückgeholt zu werden war das Letzte, was sie gewollt hatte. Ihre Entscheidung gründete auf Vernunft; und makoto , der vollkommene Zustand, war in dieser Situation nur durch rasches Handeln zu erreichen: Sie musste von der Bildfläche verschwinden. Ihr »Retter« hatte alles verdorben. Sie gewährte ihm einen kurzen Besuch, um – mit ausgesucht höflichen Worten – ihre Empfindungen zum Ausdruck zu bringen.
    »Sharpless-san, Sie haben meinen Vater gekannt, Sie sind ein Mann von Ehre. Es muss Sie sehr betrüben, mich von einer ehrenvollen Tat abgehalten zu haben.«
    Sharpless hatte ihr zwar das Leben gerettet, aber er wusste, dass es ihm nur deshalb gelungen war, weil die Klinge die Drosselvene um Haaresbreite verfehlt hatte, der Blutverlust war groß gewesen, aber nicht tödlich.
    »Vielleicht sollte man die Bedeutung von Ehre noch einmal überdenken«, erwiderte er jetzt respektvoll. »Möglicherweise verändert sich im Lauf der Zeit der Sinn der Worte.«
    »In Japan sieht man das anders. Tradition wird durch die Zeit nicht geschwächt.«
    Im Krankenhaus und auch später hatte sie viel Zeit zum Nachdenken gehabt, über die Tradition und über ihr Leben und das Leben all der Mädchen und Frauen, die wie sie keine Stimme hatten, nur Gefäße waren. Die Worte von anderen, die Handlungen von anderen, alles musste von diesen stummen Geschöpfen aufgenommen werden, denen man beigebracht hatte, zu schweigen, zu lächeln und zustimmend hinter vorgehaltener Hand zu lachen. Falls sie Wünsche und Sehnsüchte hatten, behielten sie diese störenden Gedanken für sich. Eine Frau, die von sich aus das Wort ergriff, in den Vordergrund trat, war ein hässlicher Anblick, deshalb wurde sie unsichtbar.
    »Die Tradition ist das, was bleibt, wenn es sonst nichts mehr gibt«, erklärte sie Sharpless.
    Doch als sie später wieder allein war, sann sie über ihre eigenen Worte nach, wendete sie hin und her, hinterfragte sie. Nagasaki veränderte sich, der Begriff »modern« war keine Beleidigung mehr. Und da ihr nun einmal ein Aufschub gewährt worden war, ob es ihr gefiel oder nicht, begann sie über das lange Leben nachzudenken, das noch vor ihr lag.
    Sie musste irgendwie Geld verdienen, um Essen zu kaufen und die hilfsbereite Nachbarin zu entschädigen, von der sie sich den weißen Kimono geliehen hatte, um die amerikanische Verlobte zu beeindrucken. Blut und unvorsichtige Hände im Krankenhaus hatten das Gewand ruiniert.
    Gelegentlich einigen Teehausmädchen westliche Manieren und

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