Madame Butterflys Schatten
Flug oder auf der Futtersuche, Insekten, die den Nachschub sicherten … Als einige Frauen auf dem Gelände ein Hühnerrennen veranstalteten, zeichnete er das umherstolzierende Federvieh und kolorierte seine Zeichnungen mit Farben aus der Lagerschule.
Ichir ō betrachtete Joeys Zeichnung eines kampflustigen Hahns und nickte anerkennend. »Mann, du bist ja ein richtiger Künstler.«
»Nein. Mir fehlt es an Originalität.«
»So denken die Yankees. Von den alten japanischen Malern hat niemand Originalität erwartet, sie hätten bloß schiefe Blicke geerntet, wenn sie versucht hätten, originell zu sein. Die Regel lautete: Folge den Meistern. Deshalb wäre ich ja auch so gut, was die Superhelden angeht. Vertrau auf die Meister!«
»Du musst mal raus aus deinem Schneckenhaus«, sagte Taro, als sie sich zum Duschen anstellten. »Wenn du nie mit jemandem sprichst, hilft dir das auch nicht weiter.«
»Habe ich dich um Hilfe gebeten? Lass mich einfach in Ruhe.«
»Heute Abend findet eine Tanzveranstaltung statt«, rief Ichir ō aus der betonierten offenen Duschkabine. »Du solltest mitkommen.«
»Lieber nicht.«
»Du wirst es bereuen.« Er trocknete sich ab und zog sein Hemd an. »Du willst doch wohl nicht das Café International Cabaret versäumen mit den …«, er griff in seine Tasche und las von einem zerknitterten Zettel ab, »›Tri-State-Mädels in ihren bezaubernden Kostümen‹. Was will man mehr? Tanoshimi yo! Lass uns feiern!«
Taro rief: »Bist du schon mal mit einem japanischen Mädchen ausgegangen, Joey?«
»Ich kenne keins.«
»Ich hätte mich gerne mal auf der anderen Seite umgetan«, sagte Kazuo nachdenklich. »Es hieß immer, amerikanische Mädchen wären so anschmiegsam …«
»Anschmiegsam wie ein Stachelschwein!«, sagte Ichir ō und lächelte wehmütig.
»… aber es kam nie dazu. Ich wusste nie, wie ich an sie rankommen soll. Ich glaube, ich verstehe sie einfach nicht.«
»Das ist nicht leicht«, sagte Joey.
Mädchen waren wie ein fremdes Land mit eigenen Bräuchen und Regeln. Einige Mädchen in dieser jetzt so fernen Welt da draußen sandten Signale aus, die Joey zu verstehen glaubte, die dazu einluden, die Grenze zu überschreiten und auf Entdeckungsreise zu gehen. Doch an einem gewissen Punkt stieß man dann plötzlich auf Hindernisse, und sie verhielten sich wie Eingeborene, die ihre heiligen Stätten gegen unerwünschte Besucher verteidigten.
Mit den blonden amerikanischen Mädchen, die June-Allyson-Haarbänder trugen oder sich kleideten wie Betty Grable, Collegestudentinnen aus Familien, die der seinen ziemlich ähnlich waren, war es schon schwierig genug. Die in Amerika geborenen Nisei bewohnten eine Terra incognita voller kultureller Fallgruben, in die er bei jedem Schritt stürzen konnte. Die alten Leute hielten sich an die alten Gebräuche, aber was war mit den jungen Frauen? Was sagten die Lehrbücher dazu? Sieh in den Fußnoten nach, such im Register unter Kultur, Gesellschaft und menschlichem Verhalten. Sieh unter »Mädchen« nach.
Als Joey zu der Tanzveranstaltung kam, legten sich Woody Ichihashi und die Downbeats mit ihrem Repertoire aus Liedern von Glenn Miller und Woody Herman bereits mächtig ins Zeug. Die Tanzfläche war gesteckt voll, der Saal dröhnte, von der Decke hingen bunte Lichter. Wie Woody zu sagen pflegte: Die Downbeats bringen Stimmung in die Bude.
Am Rand der Tanzfläche bahnte sich Joey einen Weg durch das Gewühl. Ein zweimaliger Rundgang durch den Saal bestätigte seinen Verdacht: Er war hier fehl am Platz. Auf glänzenden schwarzen Haaren und Brillengläsern spielten Lichtreflexe, lachende Münder entblößten Zähne, die so weiß und ebenmäßig waren, dass seine dagegen wie verwitterte Grabsteine wirkten. Er war gefangen in einem Kreuzfeuer von Stimmen, jede für sich genommen nicht besonders laut, miteinander schwollen sie jedoch zu einer Kanonade an, in der die Musik beinahe unterging.
Von einem der weiß gedeckten Klapptische winkte ihm fröhlich ein pummeliges Mädchen zu.
»Hi, willkommen, irasshaimase ! Ich bin Amy.«
Er nickte. Stellte sich unwillig vor.
»Joey.«
Sie deutete auf den Tisch.
»Also, Joey, bedien dich: Limonade, Cola – wir haben sogar Ocean Cocktail, jedenfalls so was Ähnliches. Ich habe Tomatenwasser, Sojasauce und einen Tropfen Reisessig dafür genommen. Er ist ganz passabel, vielleicht fehlt noch ein bisschen Salz.«
Er musterte skeptisch den Krug mit der Flüssigkeit. »Was schwimmt da
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