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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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obendrauf?«
    »Getrockneter Seetang. Natürlich nicht so gut wie frischer, aber es schmeckt nicht schlecht.«
    »Danke.« Er nahm sich ein Glas Limonade.
    »Woher kommst du, Joey?«
    »Portland.«
    »Meine Familie stammt aus Washington County.«
    »Aha.«
    Er ging weiter, umrundete die Tanzfläche, spürte ihre Enttäuschung und hatte ein schlechtes Gewissen, aber auch wieder nicht so schlecht, dass er bereit gewesen wäre, sich auf eine längere Unterhaltung einzulassen. Ein weiterer Rundgang, und das Glas war leer. Er stellte es vorsichtig auf einem Tisch ab und ging zur Tür.
    »Dir gefällt die Musik wohl nicht.«
    Sie trug ein hellgrünes Kleid mit einem roten Blumenmuster und im Haar eine Spange, an der sie eine künstliche dunkelrote Blüte befestigt hatte. Sie war klein und zierlich und musterte Joey mit schief gelegtem Kopf.
    »Ich heiße Lily.«
    »Joey.«
    »Hi. Du magst die Band also nicht.«
    »Nein, ich meine, doch. Die Musik gefällt mir … Wobei man sie ja eigentlich kaum hört. Es ist zu laut hier.«
    »Und du magst die Leute nicht.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Das sehe ich.«
    Er zuckte die Achseln. »Ich bin erst seit ein paar Minuten hier, du ziehst voreilige Schlüsse.«
    »Nein, das glaube ich nicht. Du läufst immer allein durch das Lager. Du nimmst nie an Veranstaltungen teil.«
    Dass er beobachtet wurde, behagte ihm nicht. In Zukunft würde er sich nicht mehr in seiner Einsamkeit verlieren können. Sie hatte ihm seine größte Freiheit genommen: ohne Hemmungen tun und lassen zu können, was er wollte, und er verspürte einen Anflug von Ärger.
    »Es gefällt mir nicht, beobachtet zu werden – noch mehr, als es hier sowieso schon der Fall ist.«
    »Aber du beobachtest alle anderen. Die ganze Zeit. Und das ist in Ordnung?«
    Plötzlich war er Teil der Feldstudie eines anderen.
    »Lass mich einfach in Ruhe, ja? Such dir einen anderen Zeitvertreib.«
    Er trat hinaus in die warme Nacht. Kurz bevor sich die Tür hinter ihm schloss, warf er einen Blick über die Schulter und sah ihr Gesicht, einen hellen Fleck, erschrocken, verstört, als hätte ihr jemand eine Ohrfeige gegeben.
    Er sollte auf der Stelle umkehren und sich bei ihr entschuldigen, er war unnötig grob gewesen. Er sollte zurückgehen und ihr sagen, dass es ihm leidtat. Sie stand direkt neben der Tür. Doch während er noch mit sich rang, schob sich mit ein paar höflichen gemurmelten Worten ein Paar an ihm vorbei und versperrte den Eingang. Ein junger Mann näherte sich dem Mädchen in dem grünen Kleid, nahm es beim Arm und führte es auf die Tanzfläche. Die Tür fiel zu.
    Auf dem Weg zu seiner Baracke kam Joey an einem Fenster vorbei: In der Dunkelheit sah das Rechteck mit dem hell erleuchteten Raum dahinter aus wie eine Kinoleinwand – die nackten Glühbirnen, mit billigem Papier auf rührende Weise in leuchtende bunte Kugeln verwandelt, die überfüllte Tanzfläche, Körper, die sich zu einem swingenden Rhythmus bewegten. Er machte das Mädchen in dem grün-roten Kleid aus, die Blume in seinem Haar, es lächelte seinen Tanzpartner an, sah ihm in die Augen, ohne den Kopf in den Nacken legen zu müssen.
    Eine Weile stand er da, dann setzte er seinen Weg fort. Die Nachtluft war erfüllt von der lauten Musik, die durch die dünnen Holzwände des Tanzsaals drang. Er ging an den Baracken entlang, sah durch halb zugezogene Vorhänge Eltern und Großeltern, die in ihren spärlich eingerichteten Unterkünften auf unbequemen Stühlen saßen und lasen oder auf das Feuer im Ofen starrten, während ihre Kinder den Text von A Gal in Kalamazoo mitsangen und zu D eep in the Heart of Texas das Tanzbein schwangen. Die Musik floss durch seinen Körper, spülte allmählich Groll und Traurigkeit weg. In seiner Baracke angekommen, blieb er einen Augenblick stehen, spürte das Wummern der Bässe durch seine Fußsohlen dringen. Er begann sich zu wiegen, kleine Schritte zu machen, und schließlich tanzte er, sang laut mit, drehte sich in dem winzigen Raum im Kreis, umrundete den Ofen, die Betten und den selbstgezimmerten Schrank. Mit ausgebreiteten Armen, im Takt mit den Füßen stampfend, machte er eine Drehung und erblickte Ichir ō , der in der Tür stand und ihn mit schief gelegtem Kopf beobachtete.
    »Ein Stück weiter unten gibt’s eine richtige Tanzfläche. Da hättest du mehr Platz.«
    »Ich tanze nicht.«
    »Ja, das sehe ich.«
    Ichir ō ging zu seinem Bett, fuhr sich mit dem Kamm durch die Haare und musterte sich kritisch in dem kleinen

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