Madame Fabienne
den Grund hinein und schaufelte ein Stück Erde zur Seite. Das Loch reichte ihm jetzt schon fast bis zu den Knien, aber wahrscheinlich war das noch nicht tief genug für ein Grab. Ob sie es überhaupt schaffen konnten, die beiden Toten zu beerdigen, bevor der Morgen kam? Bei Tageslicht würde man sie sehen, und was dann?
Die Leute würden bestimmt bei der Polizei anrufen, und dann wäre er dran.
Wie ihm der Rücken weh tat. Er hielt einen Moment inne und legte die Händen auf die schmerzenden Stellen: Waren das die Bandscheiben? Schon möglich. Wahrscheinlich lag es ja daran, dass der Klappspaten so kurz war, und er sich jedes Mal so tief bücken musste. Véronique malochte auch, aber sie hatte wenigstens eine Schaufel mit langem Holzstiel.
Fabienne kam nun ein Stück zu ihm und betrachtete ihn, ohne etwas zu sagen. Sie hatte wieder den grauen Wollmantel über den Schultern hängen, und man konnte darunter die Bluse sehen, bei der die oberen Knöpfe offen standen. Was ihm jetzt zum ersten Mal auffiel, waren ihre weißen Turnschuhe, die vom nassen Untergrund beschmutzt waren. Da er im Grab stand, überragte sie ihn. Er sah zu ihr auf, "Willst du nicht auch ein bisschen helfen?"
Sie zeigte auf den offenen Kofferraum, wo immer noch die beiden Toten lagen. "Ich habe heute Nacht schon genug getan."
Was sollte er darauf sagen? Er schwieg und grub weiter.
Es nieselte immer noch, und hier und da zogen sich Nebelschwaden durch die Nacht. Manchmal sah man in der Ferne gelbe Punkte, wahrscheinlich die Lichter von Oppau. Wie müde er war! Wenigstens hatte der viele Regen das Erdreich aufgeweicht, und jetzt ließ sich leichter graben. Man hörte, wie Véronique schnaufte. Sie malochte ein paar Meter weiter: Fabienne hatte nämlich darauf bestanden, dass zwei Gräber ausgehoben werden.
War da etwas?
Er sah auf, aber hier und da verdeckte ihm der Nebel die Sicht. Er stieß mit dem Spaten wieder zu und schaufelte ein Stück Erde zur Seite. Ob die beiden Frauen ihn später angreifen würden? Immerhin wusste er doch, wo die Toten lagen. Véronique war bewaffnet, und Fabienne konnte kämpfen. Müsste er sich vor den beiden Frauen in Acht nehmen? Fabienne beobachtete ihn immer noch, aber als sich ihre Blicke trafen, ging sie gleich ein Stück weiter.
War da etwas?
Véronique stieg aus dem Loch und wandte sich an Fabienne, "Ist da jemand?"
Für einen Moment hatte er auch den Eindruck gehabt, da wären Stimmen. Flüsterte da jemand? Ihm stand der Mund offen, und man hörte, wie sein Atem kam und ging. Es nieselte immer noch, und wenn der Wind auffrischte, fing er an zu frieren. Fabienne kam ein paar Schritte auf sie zu, damit sie leise sprechen konnte. "Es sind nur die Toten."
Das verstand er jetzt nicht. "Welche Toten?"
"Nicht unsere."
Was sollte das denn heißen? Er sah sie fragend an.
"Macht weiter. Es ist in Ordnung."
Véronique griff nach ihrer Schaufel und fing wieder an zu graben. Was blieb ihm schon übrig, er müsste auch weiter machen. Das Loch wurde tiefer und länger, und daneben lag die ausgehobene Erde. Würde das so reichen? Véronique kam nun ein Stück in seine Richtung und hielt sich für einen Moment eine Hand auf die Augen: Ein Zittern lief durch ihren Körper—weinte sie? Nein, es war zu dunkel, um das zu erkennen.
Die beiden Frauen unterhielten sich jetzt, aber ihre Stimmen waren so leise, dass er nichts verstehen konnte. Die zwei gingen zu dem offenen Kofferraum und betrachteten sich die Toten. Was besprachen denn die beiden da? Er hörte nun auch auf zu graben, denn das Loch war so wahrscheinlich tief genug.
Gab es hier etwas zu trinken?
Einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, er dürfte jetzt nicht umkippen. Hatte er noch etwas zu essen bei sich? Er tastete seine Hosentaschen ab, konnte aber nichts finden. Und im Auto? Vielleicht gab es dort noch einen Schokoriegel oder zumindest ein Kaugummi. Aber wenn er sich jetzt recht erinnerte, war dort auch nichts mehr. Verdammter Mist, wie schwach er sich auf einmal fühlte.
Véronique kam auf ihn zu und sah ihn an. Ihr schwarzes Hosenkostüm hatte Flecken, die von der Erde stammten. Auf ihrer Stirn war ein Schmutzstreifen, und ihre Wangen sahen eingefallen aus. Sie zeigte auf den Kofferraum und sprach leise, "Es ist jetzt so weit. Los!"
Er nickte nur und ging mit ihr zu dem Wagen. Sie packten den einen Leichnam zu zweit an und trugen ihn zu dem Loch, das näher bei ihnen war. Wie ihm dabei die Oberarme weh taten. Aber er müsste jetzt festhalten,
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