Madame Fabienne
Notiz von ihnen zu nehmen: Sie öffnete Briefe und schrieb manchmal irgendwas auf.
Didier ging zu einem der hohen Fenster und sah nach draußen. Am Gehsteig waren fast überall Autos geparkt, aber man konnte nur einen einzigen Passanten entdecken, einen Mann mit einem Aktenköfferchen, der zu einem geparkten Golf hastete. Er stieg ein und fuhr davon, und danach blieb die Seitenstraße menschenleer.
Eigentlich sah alles wie gewöhnlich aus. Gut.
Didier schlenderte auf einem indirekten Weg zurück zur Sitzgruppe und nahm in einem der beigen Sessel Platz. Hector schaute für einen Moment von seiner Zeitschrift auf, sagte aber nichts. Er trug wieder schwarze Klamotten. Offenbar die gleichen wie letztens, denn auf dem Jackett sah man immer noch diese Flecken. Seine schlabbrigen Wangen hingen nach unten, und er machte einen müden Eindruck. Offenbar hatte er wirklich die ganze Nacht diese Wohnung in Oggersheim observiert.
Oder log Hector schon wieder?
Didier sprach extra leise, "Also, was ist nun?"
Hector legte die Zeitschrift zur Seite, "Nichts ist, Boss. Fehlanzeige."
"Was heißt das?"
"Das heißt, ich habe die ganze Nacht diesen Jean Claude beschattet, aber nichts ist passiert. Und niemand ist gekommen."
"Scheiße." Das hätte er nicht sagen sollen: Hector brauchte nicht zu wissen, wie aufgewühlt er tief drinnen war. Er müsste jetzt doch sachlich erscheinen. Er runzelte die Stirn und tat so, als überlege er. "Wirklich gar nichts?"
Hector schüttelte den Kopf, "Madame Fabienne muss einen anderen Unterschlupf haben."
Didier lehnte sich im Sessel zurück und sah für einen Moment zu den Fenstern, wo es Vorhänge gab, die fast bis zum Boden reichten. Die Zeit lief ihm davon, er müsste jetzt handeln. Aber wie? Dieser Jean Claude blieb doch die einzige Spur, die er hatte; hier müsste er ansetzen, und zwar nicht mehr mit Samthandschuhen. Didier zog den Umschlag mit dem Geld aus seinem Jackett und beugte sich ein Stück zu Hector, damit er flüstern konnte: "Wir müssen die Sache anders anpacken."
Hector sah ihn an mit seinen kalten Augen, sagte aber nichts.
"Wir nehmen uns diesen Jean Claude vor. Er wird uns zu Fabienne führen."
Hector schwieg immer noch.
"Du kannst das." Er hielt ihm den Umschlag mit dem Geld hin, doch als Hector danach greifen wollte, zog er die Hand zurück. "Du wirst das erledigen."
"Natürlich, Boss. Wir machen das."
"Gut", Didier musste ein bisschen grinsen. Jetzt gab er Hector den Umschlag. "Wir checken heute Vormittag noch aus und greifen uns den Kerl."
Hector holte gleich die Geldscheine hervor und fing an zu zählen, dabei drehte er den Oberkörper so, dass die Frau an der Rezeption nicht sehen konnte, was er tat. Er sprach leise, "Es wäre besser, wenn wir warten, bis es dunkel ist."
"Also gut", Didier atmete hörbar aus, "wir warten, bis es dämmert. Dann schlagen wir zu."
*
Fabienne stand bei der Fensterfront und schaute nach draußen auf den Parkplatz. Ein Taxi hielt gerade vor dem Eingang, und man konnte sehen, dass Sibel Gündesch auf der Rückbank saß. Sibel wäre also gleich hier, aber beim Fahrstuhl warteten noch drei Frauen. Solange es Zeugen gab, sollte sie nicht angreifen.
Die drei Frauen waren offenbar in guter Stimmung, denn sie lachten immer wieder mal. Aus der Distanz hörte es sich so an, als ginge es um einen Vorfall, der sich erst vor Kurzem im Betrieb ereignet hatte.
Sie konnte nun sehen, wie Sibel Gündesch dem Fahrer einen Geldschein reichte. Es dauerte noch einen Moment, bis der Mann das Wechselgeld parat hatte, aber dann stieg Sibel aus. Sie hatte eine Aktentasche bei sich und trug einen Mantel überm Unterarm. Ihre Haare hatten hellbraune Strähnen und reichten ihr fast bis auf die Schultern. Sie kam auf den Eingang zu und würde gleich das Hochhaus betreten.
Offenbar ahnte sie überhaupt nichts. Gut, aber die drei anderen Frauen waren noch da. Eine von ihnen zeigte auf das Display, wo man sehen konnte, in welchem Stock sich der Fahrstuhl befand.
Irgendwie müsste sie versuchen, Sibel aufzuhalten, bis die drei anderen Frauen verschwunden waren. Ob Sibel den Briefkasten prüfen würde, so wie es Achmet Kavasolu getan hatte? Das würde noch eine Minute in Anspruch nehmen, und vielleicht würde es ihr deswegen nicht mehr reichen, den Fahrstuhl zu benutzen. Aber dieser Achmet hatte die Post schon mitgenommen, ob das so abgesprochen war?
Fabienne stellte sich neben den Eingang und tat so, als suche sie nach etwas in ihren Manteltaschen. Als Sibel
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