Madame Hemingway - Roman
mich vermisst. Das tun sie immer, wenn man sie sitzenlässt. Aber nun, da ich wieder hier bin, wie lange wird es schon halten?«
»Warum muss bloß immer alles so kompliziert sein?«, fragte ich.
»Ich habe absolut keine Ahnung«, erwiderte Kitty. »Aber das ist es zweifellos.«
Im Wohnzimmer saß Harold allein auf dem Sofa, hatte die Füße hochgelegt und zündete sich eine dicke Zigarre an, während Jinny, Ernest und Pauline vor ihm auf dem Teppich standen.
»Ich könnte auch euch beide ausführen«, wandte sich Ernest an die Mädchen. »Immerhin habe ich zwei Arme.«
»Eigentlich nicht«, sagte Harold, der mich bemerkt hatte. »Deiner Frau gehört schon einer davon.«
»Na gut, dann nehme ich Jinny – aber nur, wenn sie den Mantel ihrer Schwester trägt.«
Alle lachten, und es war einer dieser Domino-Momente. Dieses Lachen sollte noch eine ganze Reihe von Ereignissen ins Rollen bringen. Doch nicht sofort. Zunächst stand es nur im Raum, kippte und kippte, fiel aber nicht um.
Noch fiel es nicht. Noch nicht ganz.
In den kommenden Monaten, im Frühling des Jahres 1925, veränderte sich unser Freundeskreis. Zuerst war es kaum zu bemerken, und die einzelnen Begebenheiten schienen nichtviel miteinander zu tun zu haben, aber unsere alten Freunde verschwanden allmählich und wurden durch reichere und wildere Exemplare ersetzt. Pound und Shakespear lebten mittlerweile fast das ganze Jahr über in Rapallo. Gertrude und Ernest begannen, sich über kleinere und größere Dinge zu streiten. Er schien den Grund dafür nicht zu begreifen, doch ich glaube, dass er sich für ihren Geschmack zu schnell verändert hatte.
»Alice konnte mich noch nie leiden«, sagte er eines Abends zu mir, als wir ihren Salon verließen. »Und jetzt versucht sie, Stein ihre Meinung aufzudrängen.«
»Unsinn. Alice liebt dich.«
»Dann hat sie ja eine nette Art, das zu zeigen. Sie hat mich heute Abend mehr oder weniger als Streber und Karrieristen bezeichnet. Anscheinend bin ich für sie zu erfolgreich.«
»Gertrude liebt dich auch. Sie macht sich nur Sorgen.«
»Sie soll nicht immer versuchen, mich zu erziehen. Wieso ist sie überhaupt die große Lehrerin? Ich meine, was hat sie denn schon wirklich Großartiges geleistet?«
Mitanzusehen, wie die beruflichen Differenzen dieser beiden guten Freunde wuchsen, machte mich traurig, und ich fragte mich, was das Ganze für mich bedeuten mochte. Unser neuer Freundeskreis bestand aus reichen Künstlern, die nur daran interessiert waren, gut zu leben und immer das Beste von allem zu bekommen. Wir mussten dagegen immer noch mit weniger als dreitausend Dollar im Jahr zurechtkommen. Doch obwohl es für mich so schien, als hätten wir nichts mit diesen Menschen gemeinsam, waren sie an uns interessiert, oder zumindest an Ernest.
Pauline Pfeiffer war eine von ihnen. Auf den ersten Blick war sie ein berufstätiges Mädchen, das seinen Gehaltsscheck von der
Vogue
bekam – doch darüber hinaus besaß sie auch noch einen Treuhandfonds, der ihr zweifellos bei der Anschaffungall der hübschen Kleider half, die ihr so gut standen. Es war die Blütezeit von Chanel, und Pauline hatte einen Artikel über ihre neue Kollektion in der
Vogue
verfasst, dessen Inbrunst schon an Besessenheit grenzte.
»Wisst ihr, Chanel hat die Silhouette für immer verändert«, erklärte sie uns eines Abends im Deux Magots. »Wir werden nie wieder wie früher aussehen.«
Alle anderen Frauen am Tisch nickten, als hätte Pauline die Wiederkunft des Herrn vorhergesagt, doch mich ließ die Mode kalt. Meine Kleider taten nie, was sie sollten, und ich hatte das Gefühl, niemand würde meine Silhouette je ändern können, sofern ich nicht völlig mit dem Essen aufhörte.
Kitty kannte Pauline seit Ewigkeiten und wollte unbedingt, dass wir Freundinnen wurden. Ich fand, dass wir nicht das Geringste gemeinsam hatten, doch als Kitty sie zum ersten Mal mit in unsere Wohnung brachte, stellte ich freudig überrascht fest, dass sie wahnsinnig aufgeweckt und witzig war. Und es schien ihr wichtig zu sein, dass ich sie mochte.
»Kate Smith hat mir jahrelang so viele nette Dinge über dich erzählt«, sagte sie. »Es ist so schön, dich endlich einmal kennenzulernen.«
»Woher kennst du Kate eigentlich?«
»Von der Universität in Missouri. Wir haben beide den Abschluss in Journalismus gemacht.«
»Mich hatte Kate schon viel früher an der Angel«, erzählte ich. »Als wir neun waren, hat sie mich gestohlene Zigaretten rauchen lassen, und
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