Madame Hemingway - Roman
in ein Taxi.
»Ein Mann sollte für meinen Geschmack etwas mehr vertragen können«, sagte er, als der Wagen abgefahren war. »Ich hatte schon Angst, er würde über dem Tisch zusammenbrechen.«
»Er war ganz grün, nicht wahr? Und er hat wirklich schockierend persönliche Fragen gestellt. Hast du gehört, wie er mich gefragt hat, ob ich je in meinen Vater verliebt war?«
»Das hat er mich auch gefragt und außerdem, ob ich Angst vor Wasser habe und ob wir vor unserer Hochzeit bereits miteinander geschlafen haben. Er ist ein ziemlicher Kauz, oder?«
Das war er, und es wäre wohl bei dieser einen Begegnung mit Fitzgerald geblieben, wenn ihm nicht in den Sinn gekommen wäre, unsere Adresse herauszufinden und uns
Der große Gatsby
als Geschenk zuzusenden. Ernest stellte das Buch einfach ins Regal, nachdem er es ausgepackt hatte, und dort hätte es in Vergessenheit geraten können, wenn ich nicht so neugieriggewesen wäre, es zu lesen. Am Anfang war es gar nicht einmal so düster, und als die Dinge dann recht schnell ganz grässlich wurden, hatte mich die Geschichte schon völlig in ihren Bann gezogen.
Nachdem ich es zutiefst beeindruckt verschlungen hatte, empfahl ich Ernest, es auch zu lesen. Er beendete es an nur einem Nachmittag, nannte es einen verdammt guten Roman und schickte dann eine Nachricht mit diesem Inhalt an Fitzgerald. Ein paar Tage darauf trafen wir uns alle abends im Nègre de Toulouse. Fitzgerald und Zelda waren schon da, als wir ankamen, und hatten bereits die zweite Flasche Champagner angebrochen. Als sie aufstand, um uns die Hände zu schütteln, schwankte sie schon ein wenig; sie schien diese leichte Verschwommenheit geradezu zu kultivieren. Sie trug ein helles, mehrlagiges Etuikleid aus hauchdünnem Stoff, und die einzelnen Lagen verrutschten leicht, als sie sich setzte. Ihre Haut war ebenso blass wie ihr gewelltes Haar. Sie schien im Grunde aus nur einer einzigen Farbe zu bestehen, abgesehen von ihrem Mund, der dunkelrot angemalt war und eine gerade, harte Linie in ihr Gesicht schnitt.
Scott war aufgestanden, als wir uns ihrem Tisch näherten, und Zelda lächelte uns mit schmalen Augen ganz eigenartig zu. Sie war nicht unbedingt schön, ganz im Gegensatz zu ihrer tiefen, vornehmen Stimme.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte sie und wandte sich dann gleich an Ernest. »Scott sagt, Sie seien das einzig Wahre.«
»Ach? Er sagt auch, dass Sie atemberaubend seien«, erwiderte Ermest.
»Bist du nicht allerliebst, mein Liebster?«, fragte sie und strich mit der Hand über Scotts wohlgeformten Kopf. Mit dieser Geste, die bei anderen Menschen vielleicht ganz lächerlich gewirkt hätte, verschwanden sie und Scott wie hinter einem Netz in ihrer eigenen kleinen Welt. Ihre Blicke trafen sich, undsie waren nicht mehr bei uns oder überhaupt noch in diesem Café, sondern ganz allein beieinander und in diesen langen, geheimen Blick versunken.
Später sahen wir zu, wie sie gemeinsam Charleston tanzten, und der Effekt war derselbe. Sie hüpften nicht wild herum wie die anderen Paare, sondern waren unbeugsam wie Glas und bewegten ihre Arme bogenförmig vor und zurück, als wären sie an Schnüren befestigt. Zeldas Kleid rutschte bei ihren Bewegungen nach oben, und sie half noch mit den Händen nach und zog es bis zu ihren Strumpfhaltern hinauf. Es war geradezu unanständig, doch sie schien gar niemanden schockieren zu wollen. Sie tanzte allein für sich selbst und für Scott. Sie bewegten sich mit größter Selbstbeherrschung in der Umlaufbahn des anderen und wandten den Blick nicht voneinander ab.
»Was hältst du von ihr?«, wollte ich von Ernest wissen.
»Sie ist nicht schön.«
»Nein, aber sie hat was, oder nicht?«
»Ich glaube, dass sie verrückt ist.«
»Im Ernst?«
»Ja«, antwortete er. »Hast du ihr mal in die Augen gesehen?«
Am Ende des Abends luden sie uns in ihre Wohnung ein, die sich in einer heißbegehrten Gegend im nördlichen Teil von Paris in der Nähe der Place de l’Étoile befand. Man sah auf Anhieb, dass in diesem Gebäude wohlhabende Menschen lebten, doch in ihrer Wohnung selbst herrschte ein furchtbares Durcheinander aus überall verstreut herumliegenden Kleidern, Büchern, Papieren und Babysachen. Wir schoben einen großen Haufen beiseite, um Platz für uns auf dem Sofa zu schaffen. Scott und Zelda schienen jedoch nicht im mindesten beschämt zu sein. Sie amüsierten sich miteinander, wie sie es schon im Café getan hatten, nur noch ein wenig lauter.Irgendwann herrschte sogar
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