Madame Hemingway - Roman
stellte einmal mehr seine
afición
zur Schau und belehrte Gerald und Pauline ebenso, wie er es bei mir und Duff und Bill Smith und Harold Loeb und Mike Strater und jedem, der ihm zuhören wollte, getan hatte. Gerald zeigte ein ernsthaftes Interesse an der Corrida. Ernest nahm ihn mit zu den Amateuren, und gemeinsam stellten sie anhand der einjährigen Stiere ihren Mut auf die Probe. Ernest kam dieses Jahr mit bloßen Händen, Gerald dagegen hielt seinen Regenmantel so fest umklammert, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. Als ein Stier mit voller Wucht auf Gerald zukam, brachte er es fertig,ihn im letzten Augenblick durch eine Bewegung seines Mantels zur Seite zu lenken.
»Das war eine perfekte Veronica, alter Junge«, erklärte Ernest Gerald später im Iruna, aber Gerald wusste, dass er in Ernests Augen längst nicht zäh und stark genug war. Er glaubte ihm nicht und wollte das Kompliment nicht annehmen.
»Ich verspreche dir, dass ich es nächstes Jahr besser mache, Papa«, sagte er. »Es ist mir nämlich wichtig, dass ich es wahrhaftig gut mache.«
Ich lächelte Gerald über den Tisch hinweg zu, da ich selbst seit Monaten nichts wirklich Gutes oder Wahrhaftiges zustande gebracht hatte. Ich war todunglücklich, Ernest war es ebenso, und auf der anderen Seite des Tisches sah Pauline aus, als müsste sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Keinem von uns ging es gut. Keiner von uns lebte seinen Richtlinien entsprechend.
Am Ende dieser chaotischen Woche stieg Pauline mit den Murphys zusammen in den Zug nach Bayonne. Sie musste zum Arbeiten zurück nach Paris. Wir fuhren nach San Sebastián, weil wir es so geplant hatten. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt wurde mir klar, dass unsere Pläne nicht mehr gültig waren. Jedem Tag wurde der Boden entrissen.
In San Sebastián herrschte ein wenig mehr Frieden, weil Pauline fort war, doch das hieß im Grunde nur, dass wir uns nun freier und ohne Unterbrechungen streiten konnten. Wir hatten uns nichts Neues zu sagen, doch das alte Material funktionierte immer noch gut, wenn wir es nur laut und hässlich genug hervorbrachten.
»Sie ist eine Hure«, erklärte ich ihm. »Und du bist ein selbstsüchtiger Feigling.«
»Du liebst mich nicht. Du liebst überhaupt gar nichts«, erwiderte er.
»Ich hasse euch beide.«
»Was willst du von mir?«
»Nichts«, sagte ich. »Ich wünschte, du wärst tot.«
Wir brachten uns in Cafés und Taxis in Verlegenheit. Wir konnten nicht schlafen, wenn wir nicht vorher zu viel getrunken hatten, aber wenn wir mit dem Trinken eine bestimmte Grenze überschritten, konnten wir auch nicht mehr schlafen, und dann lagen wir einfach nur nebeneinander, mit zugeschnürtem Hals und vom Weinen geröteten Augen.
Pauline schrieb uns weiterhin täglich, und ihre Stimme summte wie eine Wespe in meinem Ohr:
Ich vermisse meine beiden Hochgeschätzten so sehr. Bitte schreib mir, Hadley. Ich weiß, dass wir alle füreinander da sein und uns glücklich machen können. Ich
weiß
es einfach.
»Wir können so nicht weitermachen, oder?«, fragte Ernest, der einen von Paulines Briefen hochgehoben und dann wieder hingelegt hatte. »Glaubst du, dass wir das können?«
»Ich hoffe nicht.«
»Alles ist so schrecklich den Bach hinuntergegangen.«
»Ja«, erwiderte ich.
»Du baust dir ein Leben mit jemandem zusammen auf, und du liebst diese Person, und du denkst, dass das genug ist. Aber es ist niemals genug, nicht wahr?«
»Ich weiß es nicht. Ich kenne mich mit der Liebe gar nicht mehr aus. Ich würde am liebsten für eine Weile aufhören, überhaupt noch irgendetwas zu fühlen. Können wir das tun?«
»Dafür gibt es ja den Whisky.«
»Der hat mich anscheinend im Stich gelassen«, sagte ich. »Ich fühle mich ganz wund gerieben.«
»Lass uns nach Hause fahren.«
»Ja, es wird Zeit dafür. Aber nicht gemeinsam. Das ist vorbei.«
»Ich weiß«, erwiderte er.
Wir blickten uns ins Gesicht und sahen alles ganz klar und deutlich und konnten für eine lange Zeit nichts weiter sagen.Auf unserem Rückweg nach Paris legten wir einen Zwischenhalt in der Villa America ein, doch wir hatten es aufgegeben, irgendjemandem und vor allem uns selbst etwas vormachen zu wollen. Bei Cocktails am Strand erklärten wir Gerald und Sara, dass wir uns trennen würden.
»Das kann nicht sein«, rief Gerald.
»Es kann. Und es ist so«, erwiderte Ernest und leerte sein Glas. »Aber schenk mir doch noch mal ein, ja?«
Sara warf mir einen Blick zu, der so liebevoll war, wie sie es
Weitere Kostenlose Bücher