Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
Vom Netzwerk:
es doch genauso.«
    Der Tisch stand vor einem schmalen Fenster, durch das wir wenig mehr als die rauhen Seitenfassaden der Häuser und Läden neben uns sehen konnten. In fünf Tagen war Weihnachten.
    »Als ich ein kleines Mädchen war, hat meine Mutter Stechpalmenzweige über die roten Glasfenster im Wohnzimmer gehängt. Bei Sonnen- oder Kerzenlicht leuchteten diese Fenster. Das war Weihnachten.«
    »Lass uns nicht darüber reden«, sagte er und stand auf, um mich in den Arm zu nehmen. Er zog meinen Kopf auf seine Brust, an die Stelle, von der er wusste, dass ich mich dort am sichersten fühlte. Durch die Dielenbretter und Wände hörten wir das Akkordeon aus dem Tanzlokal und fingen an, uns dazu langsam vor- und zurückzuwiegen.
    »Wir werden uns einleben, du wirst schon sehen«, versicherte er mir.
    Ich nickte gegen seine Brust.
    »Vielleicht sollten wir rausgehen und Geschenke für unsere Weihnachtsstrümpfe kaufen. Das wird die kleine Kat aufmuntern.«
    Ich nickte erneut, und wir machten uns auf zu unserem Einkaufsbummel. In unserem Haus befand sich auf jedem Treppenabsatz pro Stockwerk je ein Waschbecken und eine Gemeinschaftstoilette, die man benutzte, indem man sich auf zwei Trittbretter stellte. Der Gestank war bestialisch.
    »Das ist wirklich barbarisch«, sagte ich. »Es muss doch ein besseres System geben.«
    »Ist wahrscheinlich immer noch besser, als aus dem Fenster zu pinkeln«, erwiderte Ernest.
    Auf der Straße angelangt, gingen wir nach links hügelabwärts und blieben kurz stehen, um einen Blick ins Tanzlokal zu werfen, wo zwei Matrosen sich obszön an zwei Mädchen heranwarfen,die beide schrecklich dünn und stark geschminkt waren. Mehrere Zinnlaternen warfen tanzende Schatten in den Raum, so dass er sich bedenklich zu drehen schien. Die Bänke und Tische waren blutrot angemalt.
    »Das ist ja ein bisschen wie Karneval da drin«, äußerte ich.
    »Wahrscheinlich wirkt es besser, wenn man betrunken ist«, mutmaßte Ernest, und wir waren uns schnell einig, dass alles viel fröhlicher wäre, wenn wir selbst uns betrinken würden.
    Wir kannten noch nicht alle Wege, doch wir nahmen eine windige Straße, die grob in Richtung Seine führte, liefen vorbei an der Sorbonne und dem Odéon Théâtre, bis wir auf der Rue des Saints-Pères ein Café namens Pré aux Clercs fanden, das einladend aussah. Wir betraten es und setzten uns an einen Tisch neben ein paar englische Medizinstudenten, die sich trocken über die Auswirkungen von Alkohol auf die Leber unterhielten. Offensichtlich hatten sie gerade erst mit Leichen zu tun gehabt.
    »Ihr könnt meine Leber haben, wenn ich damit fertig bin«, scherzte Ernest mit ihnen. »Aber nicht heute Abend.«
    Als wir die Staaten verließen, war die Prohibition gerade in vollem Gange gewesen, und auch wenn wir nie mit dem Trinken aufgehört hatten – wer hatte das schon? –, war es eine Erleichterung, Alkohol in aller Öffentlichkeit in einem Café bestellen und trinken zu können. Wir ließen uns Pernod bringen, der grün und schaurig aussah, sobald man Wasser und Zucker hinzufügte, und versuchten, uns ganz darauf zu konzentrieren, da das Essen aus einem enttäuschenden Coq au vin bestand, in dessen Brühe gräuliche Karottenstückchen schwammen.
    »Es fühlt sich nicht richtig an, Weihnachten so weit weg von zu Hause zu verbringen. Wir sollten einen richtigen Baum und Stechpalmenzweige und einen fetten Truthahn im Ofen haben«, erklärte ich.
    »Vielleicht«, erwiderte er. »Aber stattdessen haben wir Paris. Das ist schließlich das, was wir wollten.«
    »Ja. Aber irgendwann werden wir doch wieder nach Hause zurückkehren?«
    »Natürlich«, versprach er, doch sein Blick schien entweder vor Erinnerungen oder vor Angst verdüstert. »Zuerst müssen wir aber einen Weg finden, hier zurechtzukommen. Denkst du, dass wir das schaffen?«
    »Natürlich«, schwindelte ich.
    Die Straßen vor dem Fenster des Cafés waren düster und ausgestorben bis auf einen von einem Pferd gezogenen Wagen, der einen Abwassertank transportierte und dessen Räder gespaltene Schatten warfen.
    Ernest holte den Kellner mit einem Handzeichen herbei, um uns zwei weitere Pernods zu bestellen, und wir fingen an, uns ernsthaft zu betrinken. Als das Café schloss, waren wir so sternhagelvoll, dass wir uns beim Gehen aneinander festhalten mussten. Den Hügel hinaufzukommen war unendlich beschwerlicher als hinab, insbesondere in unserem Zustand, doch es gelang uns langsam, mit mehreren Pausen in

Weitere Kostenlose Bücher