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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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Hauseingängen, in denen wir manchmal feuchte Küsse austauschten. In Paris konnte man so etwas tun, ohne allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen.
    Zu Hause übergaben wir uns nacheinander in den Nachttopf. Im Tanzlokal waren die Betrunkenen immer noch laut zu hören, als wir ins Bett gingen, und das Akkordeon spielte fieberhaft. Feucht und mit flauem Magen schmiegten wir uns Stirn an Stirn aneinander und ließen unsere Augen geöffnet, damit die Welt sich nicht zu heftig um uns drehte. Und als wir kurz vorm Einschlafen waren, sagte ich: »Daran werden wir uns erinnern. Irgendwann werden wir erzählen, dass dieses Akkordeon das Geräusch unseres ersten Jahres in Paris war.«
    »Das Akkordeon und die Huren und das Würgen«, erwiderte er. »Das ist unsere Musik.«
     
    Es regnete fast den ganzen Januar über, und als das vorbei war, wurde der Winter in Paris beißend kalt und klar. Ernest hatte gedacht, er könnte überall schreiben, aber nach ein paar Wochen in unserer beengten Wohnung, wo er sich ständig meiner Gegenwart bewusst war, mietete er sich zum Arbeiten ein Einzelzimmer ganz in der Nähe, in der Rue Descartes. Er zahlte sechzig Francs im Monat für eine Mansarde, die nicht viel größer war als ein Klosett, seinen Ansprüchen jedoch völlig genügte. Er wollte nicht abgelenkt werden und wurde es dort auch nicht. Von seinem Schreibtisch aus hatte er einen Blick über die reizlosen Dächer und Schornsteine von Paris. Es war kalt dort, aber die Kälte konnte die Konzentration befördern, und es gab auch ein kleines Kohlebecken, in dem er Zweige verbrennen konnte, um sich die Hände zu wärmen.
    Bald wurde es uns zur Routine, jeden Morgen gemeinsam aufzustehen und uns schweigend zu waschen, da er im Kopf schon mit der Arbeit begonnen hatte. Nach dem Frühstück verließ er die Wohnung in seiner zerschlissenen Jacke und den Turnschuhen mit dem Loch in der Ferse. Er lief zu seinem Zimmer und rang dort den ganzen Tag mit seinen Sätzen. Wenn es zu kalt zum Arbeiten war oder er auf zu düstere Gedanken kam, ging er stundenlang durch die Straßen oder spazierte die ordentlich angelegten Wege des Jardin du Luxembourg entlang. Auf dem Boulevard Montparnasse gab es eine Reihe von Cafés – das Dôme, das Rotonde, das Select –, in denen Künstler aus dem Ausland sich herausputzten, viel Unsinn redeten und tranken, bis ihnen schlecht war. Ernest war von ihnen angewidert.
    »Wie kommt es, dass hier jeder behauptet, er sei ein Künstler? Ein wirklicher Künstler braucht nicht darüber zu schwadronierenund hat auch gar nicht die Zeit dazu. Er macht seine Arbeit und schwitzt es in aller Stille hinaus, und niemand kann ihm dabei helfen.«
    Ich stimmte ihm natürlich zu, dass den ganzen Tag im Café zu verbringen keine Arbeit sei, aber ich fragte mich auch, ob jeder so ernst und unbeweglich wie Ernest war, was seine Kunst anging. Ich stellte mir vor, dass es genügend andere Schriftsteller gab, die beispielsweise zu Hause arbeiten oder Gespräche am Frühstückstisch tolerieren konnten. Die Nacht für Nacht durchschliefen, ohne sich den Kopf zu zerbrechen, im Zimmer auf und ab zu schreiten oder beim flackernden Licht einer einzigen rußenden Kerze in ihrem Notizbuch herumzukritzeln. Ich vermisste Ernests Gesellschaft den ganzen Tag über, doch ihm schien es nicht so zu gehen, solange er an etwas arbeitete. Wenn er sich nach Kontakt sehnte, legte er eine Pause ein, um den Cézannes und Monets im Musée du Luxembourg einen Besuch abzustatten. Er war überzeugt davon, dass sie bereits erreicht hatten, wonach er strebte: die essentiellen Eigenschaften aus Orten, Menschen und Objekten herauszudestillieren. Cézannes Fluss war braun und dickflüssig, und genau das ließ ihn realer wirken. Das wollte Ernest auch erreichen, doch er kam manchmal nur unendlich langsam voran. An vielen Tagen sah er erschöpft und ausgelaugt aus, wenn er nach Hause kam, als hätte er sich den ganzen Tag mit Kohlesäcken abgekämpft, statt nur mit einem Satz nach dem anderen.
    Während Ernest arbeitete, kümmerte ich mich um den Haushalt, machte das Bett, kehrte, staubte ab und spülte das Frühstücksgeschirr. Später am Vormittag machte ich mich mit einem Korb auf den Weg, unsere Einkäufe zu erledigen, immer auf der Suche nach den günstigsten Angeboten. Obwohl er sich am rechten Ufer der Seine befand und weit von unserer Wohnung entfernt war, lief ich gern bis zum Markt Les Halles, der unteroffenem Himmel stattfand und als der Bauch von Paris galt.

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