Madame Lotti
transportieren zu können. Lotti schüttelt den Kopf, bestätigt dann aber meinen Verdacht, dass die Frau mit den beiden Kindern in einem solchen Gefährt nach Ghana reisen wird. Bis die Strasse so weit geräumt ist, dass wir weiterfahren können, stellt Lotti den Motor und somit auch die Klimaanlage ab. Wir öffnen die Fenster, was überhaupt nichts hilft. Kein Hauch von Wind.
«Wir kommen zu spät, Lotti.»
«Und werden immer noch die Ersten sein. Es ist interessant, wie schnell sich die afrikanische Unpünktlichkeit überträgt.»
Auf unserer Fahrt kommen wir durch Cocody, das nobelste der zehn Quartiere Abidjans.
«Luxuriöse Bauten, Botschaftssitze, französische Schulen, das Kunstinstitut, die Radio- und Fernsehstation, alles befand sich in diesem kulturellen Zentrum», erzählt Lotti, «es kamen hier oft Autokonvois mit Regierungsoberhäuptern durch. Vorne und hinten schwere Motorräder mit Blaulicht, das ganze Brimborium. Als die Unruhen begannen, wurde Cocody geschlossen, die Ausländer packten ihre Ware zusammen, die Schulen machten zu. Sieh, wie alles zerfällt.»
Nun, viel zu sehen gibt es nicht. Die Häuser sind durch hohe Mauern geschützt. Die Strasse allerdings, die lässt sich nicht verstecken: Sie ist von zum Teil beängstigend tiefen Löchern aufgebrochen.
Im Konferenzraum des Hotels im vierzehnten Stock angekommen, sind wir tatsächlich die Ersten. Und nach der Fahrt im Lift bin ich überzeugt, dass wir auch die Letzten bleiben werden. Es war ein schauderliches Rucken und Zucken, und ich fragte mich, wann der Lift wohl das letzte Mal kontrolliert worden war. Lotti nutzt die Zeit, um mir vom Fenster aus den Swimmingpool zu zeigen, der das Hotel umgibt. Riesig! Enorm! Er könnte bestimmt als grösster Hotelpool weltweit ins «Guinness Buch der Rekorde» kommen. Wenn er Wasser hätte. Hat er aber nicht. Die politische Krise setzt auch der Hotel-lerie arg zu. Der Glanz blättert von den fünf Sternen ab, die Teppiche riechen nach Moder, die Uniformen der Hotelangestellten sind schlecht gebügelt. Der drohende wirtschaftliche Kollaps des Landes zeigt sich hier in einer Deutlichkeit, die sich nicht vertuschen lässt.
Als die Frauen kommen, ist denn auch genau dieser Niedergang das Thema. Hat man früher für Benefizveranstaltungen noch mit ein paar wenigen Telefonanrufen tollste Lotteriepreise von der Wirtschaft zugesagt bekommen, muss man sich heute mit nichts zufrieden geben. Die Schar der gut situierten Frauen – in deren Vereinigung Lotti früher auch Mitglied war und von denen zwei regelmässig bei der Mütterberatung im Slum mithelfen – ist von hundert auf knapp zwanzig zusammengeschrumpft. Es wird schnell klar, dass das einst so angenehme Leben in Luxus einer Ungewissheit gewichen ist, die für alle Hiergebliebenen schwer auszuhalten ist. Die Damen hängen Lotti an den Lippen, bringen Ideen auf den Tisch, wie sie ihr helfen wollen. Eine bietet sich an, jeden Mittwoch ins Sterbespital zu kommen, um mit den Kindern zu basteln. Sie wird allerdings nie kommen.
Die gedrückte Stimmung wird schliesslich von der Bemerkung einer Frau etwas aufgelockert, die Lotti mit den Worten dankt: «Es ist so schön, wie normal du wieder geworden bist!»
Anscheinend wissen alle, wovon sie redet. Ich mache mich nach der Versammlung kundig.
«Ach wissen Sie», meint die dezent geschminkte Dame, «es gab eine Zeit, da war Lotti . Sie verdammte jedes gute Essen, sie lebte von Suppe und Brot, und wenn ich sie zufällig in der Stadt traf, schämte ich mich zutiefst für meinen Mercedes mit Chauffeur. Ich versuchte ihr zu erklären, dass auch ich nicht jeden Tag Kaviar esse und Korken teurer Champagner knallen lasse, und realisierte, dass Lotti dies gar nicht hören wollte und ich es bloss sagte, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Tatsache aber war, dass ich – wenn ich von da an in die Stadt ging – hoffte, Lotti nicht zu begegnen. Und heute, heute lacht sie wieder, heute kann ich sie, wenn ich sie zufällig treffe, zu Kaffee und Kuchen einladen, ohne dass ich mich daran verschlucke. Lotti ist weicher geworden, zufriedener, ausgesöhnter. Lotti ist wieder Lotti. Und lässt mich mich selbst sein.»
Im Auto meint Lotti: «Nun, sie hat Recht, ich war ein Ekel. Es dauerte, bis ich realisierte, dass ich niemandem seinen Reichtum streitig machen muss. Jeder nach seiner Façon. Nur schon, dass sie heute alle gekommen sind, zeugt von ihrem Engagement. Ich lebe besser, seit ich mich damit
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