Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Porzellan, Fußball, Taschentuch, Schießpulver …
Ich frage, wo und wann Guo Shoujing gelebt und was er außer den Wälzlagern noch entwickelt hat.
Das könnte ich, sagt der Marketingchef, in einem Buch, das er mir schenken wird und in dem die Geschichte ihres Betriebes beschrieben ist, nachlesen. Das Buch findet er im Büro. Den Direktor nicht. Dessen Zimmer und der Chefsessel mit einer hochaufragenden Rückenlehne sind immer noch verwaist. Der U-förmige Schreibtisch des Direktors reicht kaum aus, um die Bürotechnik darauf zu platzieren. Bildschirm, zwei Computer, drei Telefone und ein viertes am Faxgerät, ein Drucker, zwei Handys, ein Kopierer. Verschämt steht hinter dem Bildschirm ein kleiner runder grüner Kaktus.
Für uns gibt es erneut Sodawasser mit Vitaminen. Und Klaus zeigt auf dem Laptop ein Video über den Betrieb in Mittweida. Die Chinesen loben die Präzision der Teile und die automatische Fertigung mit modernsten Maschinen. Danach teilen sie, damit wir uns die Hände nicht beschmutzen, grob gewebte Fingerhandschuhe aus und präsentieren eine Kollektion von Wälzlagern. Sie stammen nicht alle aus dem eigenen Betrieb.
»Wir verkaufen als Zwischenhändler auch Wälzlager aus anderen Ländern«, sagt der Marketingchef. Und weil der Direktor unterwegs ist und es noch dauern kann, bis er ankommt, schlägt er vor, das Lager zu besichtigen. Der Fotograf läuft wegen der Gruppenfotos immer einige Schritte vor uns.
In der großen Lagerhalle finden wir kaum noch einen Gang zwischen den übervollen Regalen und den auf dem Boden gestapelten Wälzlagern. Wir klettern über russische, deutsche, englische, französische … Klaus begutachtet die in den Regalen liegenden sehr kleinen und die am Eingang gestapelten im Durchmesser über einen Meter großen Wälzlager. An den bestimmt 1000 verschieden großen, aber nicht nach Größe sortierten, sondern ungeordnet in den Regalen liegenden Fabrikaten hängen Pappen, auf denen mit Handgeschrieben steht, woher, wie groß, wann hergestellt, und wie viel davon noch am Lager sind.
Klaus stöhnt: »Wer soll sich in diesem Wirrwarr bloß zurechtfinden?«
Und mir fällt der Spruch über die Ordnung auf dem roten Banner ein.
Als wir am Betondenkmal des Wälzlagererfinders Guo Shoujing vorbeigehen, bedanke ich mich beim Marketingchef noch einmal für das Buch und sage, dass in dem dicken Werk leider nur Persönlichkeiten des Betriebes und die Parteichefs der Stadt im Foto zu sehen sind, aber nicht Guo Shoujing.
Dann sollten wir, sagt Herr Zhang Bin sehr unwirsch – ich habe ihn unbeabsichtigt vor seinem Mitarbeiter kritisiert –, zu Hause im Internet nachschauen.
Zum Mittagessen fahren wir auf der Allee mit den vielen Straßenlaternen in die Stadt, die mir, weil sie beschaulich ist, auf den ersten Blick besser gefällt als Peking. Radfahrer, Mopeds und dreirädrige mit den Füßen angetriebene Lasttransporter beherrschen das Straßenbild. Kleine Geschäfte säumen die Hauptstraße. Vor einem steigen Feuerwerkskörper in die Luft, und rote Ballons sind als schwebender Triumphbogen über die Straße gespannt. Darunter breitet sich ein Blütenteppich aus. Viele Chinesen drängeln sich vor diesem schon alten Geschäft, das wohl eine Neueröffnung feiert und in Peking vielleicht zu denen gehören würde, die dort täglich dem Abrissbagger zum Opfer fallen.
Im Restaurant begleitet mich der Manager zur Toilette, wartet davor und geht dann mit mir zurück in das vorbestellte Séparée. Dort stehen vorerst nur Kandiszucker und Zahnstocher auf der gläsernen Drehscheibe. Mit dem in Plaste eingeschweißten Geschirr bringen die Kellner dann Fleisch und Fisch, Tofu und Teigtaschen …
Während des Essens erzählt Fu Dequiang, dass viele Menschen in Xingtai von der Produktion der Wälzlager leben. Erselbst besitzt ein Geschäft für den Verkauf der Lager. Das hat er seiner Frau übergeben.
Kurz bevor die Kellner Reis, Suppe und Tee, die in China eine Mahlzeit abschließen, servieren, kommt ein Mann ins Séparée. Er sieht wie ein großer Junge aus und trägt eine schwarze, modische Cordjacke mit Schulterklappen und doppelreihigen Silberknöpfen. Sofort stehen die beiden Chinesen auf, und der Marketingchef öffnet dem jungen Mann, noch während der im Stehen mit seinem Handy telefoniert, eilfertig das eingeschweißte Geschirr und legt ihm die Essstäbchen zurecht. Der Mann holt drei Visitenkarten aus seiner Brieftasche und überreicht sie uns. Ich möchte es nicht glauben, was
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