Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
vorwärtszieht.«
Einen kurzen Moment herrschte Stille, dann hörte ich Scott durch die Funkverbindung fluchen. Plötzlich wurde mir ebenfalls klar, warum ich mich noch bewegte. Ich riss das Boot herum, aber der Mahlstrom hatte mich bereits fest im Griff. Panisch umklammerte ich das Steuerrad, sodass meine Knöchel weiß hervortraten. Ich drückte den Gashebel wieder bis zum Anschlag durch, doch das Boot verlangsamte sich kaum. Ich kam mir vor wie in einem ZipShuttle mit kaputter Bremse.
Scott sagte etwas, aber seine Stimme wurde von knisternden Störgeräuschen unterbrochen.
»Scott?«, schrie ich. »Tu etwas!«
»Ich versuch’s ja!«, schrie er zurück. »Ich habe mich bis zur Betriebsseite der Anlage durchgehackt, aber die Befehle sind alle codiert. Wenn ich mehr Zeit hätte …«
Ich starrte auf die Turbinenflügel. Der Sog wurde stärker, ich bewegte mich schneller, das Geräusch der Rotoren und des aufgepeitschten Wassers steigerte sich zu einem dröhnenden Brüllen. Das Boot geriet ins Schwanken.
Einen Moment blickte ich zu Pat hinunter. Meine vorherige Überzeugung bröckelte und wurde von Zweifeln überschwemmt. Beim Steuerrad waren noch weitere Rettungswesten verstaut. Vielleicht sollte ich Pat eine davon überziehen und mit ihm über Bord springen. Aber dann würde ich bloß schwimmend in den Sog geraten. Vermutlich würden wir an Unterkühlung sterben, falls die Propellerflügel uns nicht zuerst umbrachten … Und bei diesem Gedanken kam mir eine Idee.
Ich fragte Scott, ob es auf der Betriebsseite irgendwo Temperaturmessungen gab. Er sagte, das Wasser sei elf Grad kalt und ich sollte bloß nicht hineinspringen. Wenn der Bootsmotor nicht gegen die Strömung ankam, würde ich erst recht keine Chance haben. Aber so sah mein Plan auch gar nicht aus.
»Vielleicht hat das Kraftwerk eine Temperatursicherung?«, fragte ich. Scott verstand sofort, was ich meinte. Wellengeneratoren wurden aus gutem Grund nicht in der Arktis gebaut. Sobald das Wasser gefror, waren sie nutzlos.
Ich wartete, während Scott versuchte, in zwei Minuten den Pazifischen Ozean einzufrieren. Computertechnik hatte ihre Vorteile. Falls Scott dem Kraftwerk einreden konnte, dass Winter war, würden die Turbinen sich vielleicht von selbst abstellen.
»Ich gebe mein Bestes, Maddie …«, hörte ich Scott noch durch das statische Rauschen sagen, dann brach die Verbindung endgültig ab. Fluchend riss ich mir das Headset vom Kopf und warf es auf die Steuerkonsole. Das Boot schwankte und bockte auf dem aufgewühlten Meer. Rotorblätter groß wie Wolkenkratzer durchschnitten mein Sichtfeld.
Schäumende Wellen warfen mich hin und her, während das Wasser um den Bootsrumpf brandete. Ich klammerte mich am Steuerrad fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und fühlte mich zum ersten Mal hilflos. Ich wollte schreien. Ich wollte heulen. Ich wollte Justin bei mir haben. Wieso war er nicht hier? In diesem Moment hasste ich ihn regelrecht dafür, dass er so viel Vertrauen in mich hatte. Er hatte mich zu einer Anführerin aufgebaut und mir eingeredet, ich sei dafür geeignet. Pat hatte mich auf den Boden der Tatsachen zurückholen wollen, aber ich war nicht bereit gewesen, ihm zuzuhören. Und damit würde ich uns beide umbringen.
Ich zog die Waffe aus dem Halfter und starrte darauf. Am liebsten wollte ich aufgeben und das Ende nicht miterleben. Die Rotoren waren so laut, dass sie das Boot vibrieren ließen und meine Zähne zum Klappern brachten.
Ich presste die Augen zusammen und dachte an Justin. Ich versuchte, ihn vor mir zu sehen, als sei er wirklich da. Ich griff nach seiner unsichtbaren Hand und hielt sie fest. Ich dachte an meine Familie, an Mom, Joe und Baley. Ich dachte an meinen Vater. Ein Erinnerungsbild aus meiner Kindheit tauchte vor mir auf. Mein Vater ließ mich auf seinen Schultern reiten, während er Baley spazieren führte. Wir wanderten durch einen Stadtpark mit Blick auf den Columbia River und schauten zu, wie der Wind weiße Schaumkrönchen auf dem Wasser tanzen ließ. Das war, bevor die Katastrophe von 28M die Welt ins Chaos stürzte. Bevor mein Vater sich veränderte.
Ich starrte noch ein letztes Mal auf die Propellerflügel, die wie Hackmesser die Luft durchschnitten und inzwischen so nah waren, dass Sprühwasser mir ins Gesicht wehte und die Wellen fast über die Bordwand schäumten. Ich hob die Betäubungswaffe und presste mir die kalte Metallmündung an den Hals. Dann krümmte ich den Finger und begann den Abzug zu
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