Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
Gefühlen. Das erschreckte mich. Ich war daran gewöhnt, dass er sich nichts anmerken ließ. Doch nun war seine ruhige Oberfläche in Bewegung geraten. Mir kam es vor, als würde ich an einem Faden ziehen und ein haltbares Gewebe voller wunderbarer Farben würde einfach aufribbeln und auseinanderfallen. Ich spürte, wie meine warme Bettdecke zu rutschen begann. Eine Ahnung von Traurigkeit und schlechtem Gewissen machte sich breit. Ich mochte die Gefühle nicht, also stieß ich sie weg und griff wieder nach der Decke.
»Hör mir zu«, sagte er. »Ich muss dir etwas sagen, auch wenn es dir nicht gefallen wird. Es ist wichtig.« Er holte tief Atem. »Du solltest aufhören, so viel an dich selbst zu denken. Wenn du deine ganze Zeit damit verbringst, dir selbst leidzutun, nützt das überhaupt nichts. Im Gegenteil, dadurch wird alles nur schlimmer. Glaub mir, das weiß ich aus Erfahrung.«
Meine Finger zuckten in seinem Griff, aber er hielt meine Hand fest, bevor ich sie fortziehen konnte. »Wie bitte?« Ich starrte ihn an.
Er fuhr fort, ich müsse Abstand gewinnen und alles aus größerer Perspektive sehen. »Im Moment dreht sich dein ganzes Denken nur um dich selbst. Das ist kurzsichtig. Nur deshalb kann das Center dich in die Knie zwingen.«
Ich spürte etwas im Inneren meiner Brust, das einem plötzlichen Stromschlag glich und meine Augen weit auffliegen ließ. Erst nach einem Moment erkannte ich das Gefühl. Ich war außer mir vor Wut. Schockiert starrte ich ihn an. »Ich kann nicht fassen, dass du mir ausgerechnet jetzt so eine Predigt hältst.«
Sein Blick war kühl und abschätzend wie der meines Vaters. »Ich sage nur die Wahrheit.«
»Nach allem, was ich durchgemacht habe, darf ich wohl ein bisschen Selbstmitleid fühlen?«
»Nein«, sagte er. »Selbstmitleid ist Zeitverschwendung.« Justins Blick hielt meinen fest und ich entdeckte keine Spur von Schuldgefühlen darin. Seine dunklen Augen bohrten sich erbarmungslos in meine. Mit einem Ruck riss ich meine Hand los. Ein Hauch von Erleichterung huschte über sein Gesicht, als sei er glücklich, mich aus der Fassung gebracht zu haben.
»Ich glaube, du vergisst da eine Kleinigkeit. Ich bin in einem Umerziehungscenter «, schrie ich ihn an. »Ich werde psychisch gefoltert. Sorry, wenn ich für meine Situation nicht die nötige positive Einstellung aufbringe!«
Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. »Jetzt bist du wieder die Maddie, die ich kenne«, sagte er und hieß mich mit einem Grinsen willkommen.
Ich rappelte mich vom Boden hoch, aber Justin packte mich an den Schultern, bevor ich aufstehen und weggehen konnte. Er zwang mich, ihm ins Gesicht zu sehen. Ich versuchte mich loszureißen, obwohl mir die körperliche Berührung ausnahmsweise fast egal war. Seine Worte schmerzten viel mehr.
»Ich glaube, du vergisst etwas«, sagte er. »Diese ganze Sache dreht sich nämlich nicht um dich. Kapierst du das? Du musst dich von deinem Ego verabschieden. Was du hier tust, ist größer als du selbst«, sagte er und umklammerte meine Schultern noch fester. »Eine Menge Leute verlassen sich auf dich. Du bist für das Leben von Menschen verantwortlich, weil du als Einzige berichten kannst, was im Center vorgeht. Du hast dich aus Überzeugung für diesen Weg entschieden. Verlier jetzt nicht dein Ziel aus den Augen.«
Ich schüttelte seine Hände ab und wich zurück. »So einfach ist das nicht. Da drin können sie meine Gedanken kontrollieren«, sagte ich und zeigte zurück auf den Tunnel, dessen schwarzes Maul nur darauf wartete, mich wie eine Riesenschlange zu verschlingen.
»Nur, wenn du sie lässt. Nur, wenn du keinen Ausweg mehr siehst. Wehr dich dagegen. Hör auf, ständig über deine Probleme nachzudenken, denn dadurch wird der Kampf bloß härter. Konzentrier dich stattdessen mit aller Kraft auf die Lösung.«
»Ich kann nichts tun!«, schrie ich ihn an. »Und ich bin nicht auf einem Kreuzzug, um die Welt zu retten. Das ist dein Ziel, nicht meines. Ich will überleben und sonst nichts. Ich bin nur eine einzige, unwichtige Person.«
Ich hatte erwartet, dass er wütend werden würde, aber seine Stimme blieb ruhig.
»Das ist nicht wahr«, sagte er. »Viele Leute stehen hinter dir. Nur wenn du davor die Augen verschließt, fühlst du dich klein und unwichtig. Das Center will, dass du dir winzig vorkommst. Nur so kann das System gewinnen. Aber in Wirklichkeit bist du Tausende von Menschen. Du bist nicht allein.«
Ich wandte mich ab und marschierte über den
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