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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
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über unsere Albereien, sie freute sich nicht am Anblick meines Bruders, der stolz und locker hinter dem Tresen stand.

    Sie macht ein Gesicht, als hätte sie einen schlechten Tag. Sie sagt nichts, doch das beunruhigt uns nicht, wir wissen ja, wie introvertiert sie ist. Dann kündigt sie an, sie habe uns etwas Wichtiges zu sagen. Und dann lässt sie die Splitterbombe hochgehen, die alles in mir in Aufruhr versetzt. »Ich bin krank. Ich habe Krebs. Ich habe vielleicht noch drei Monate zu leben, vielleicht auch mehr …«
    Sie wirkt zu ernst, als dass es ein schlechter Witz sein könnte. Für so etwas liebt sie uns zu sehr. Sie spielt nicht mit solchen Dingen. Nein, sie hat uns soeben etwas Wichtiges mitgeteilt. Nicht mehr und nicht weniger. Eine objektive, neutrale, unerbittliche Information. Etwas nahezu Unglaubliches. Meine Mutter hat nicht das Recht, schwach zu sein, krank, sterblich. Dafür ist sie nicht da, sie hat uns vielmehr zu schützen und mich zu lieben, solange ich es brauche. Sie ist wie ein Berg, ein unverwüstlicher Halt, sie darf nicht sterben. Die Superhelden, sterben die etwa? Warum dann Maman?

6
Ihr seid alle volljährig …
    Es gibt keine Gerechtigkeit.
    Erstens ist Maman noch jung. Noch keine sechzig, fünfundfünfzig, um genau zu sein. Außerdem ist Maman frei. Sie kann das Leben genießen, nachdem sie sich so lange in den Dienst des Lebens gestellt hat. Sie hat es uns gesagt: »Ihr seid alle volljährig … Jetzt, wo ich euch alle großgezogen habe, möchte ich mir Zeit für mich nehmen, ich könnte zum Beispiel reisen.« Ein vernünftiges Vorhaben. Gut und gerecht.
    Doch nein.
    Es gibt keine Gerechtigkeit.
    Ich schaue sie an, als sie uns mit dieser Nachricht konfrontiert, und mit einem Mal sehe ich sie, die Krankheit. Die ihre Gesichtszüge tiefer gräbt, Haut und Haar bleicht und ihr diese Augenringe zeichnet, die ich noch nie an ihr bemerkt habe, nicht einmal, als sie all ihre Kräfte gab, um uns aufzuziehen. Ich schaue sie an und erinnere mich, dass sie in letzter Zeit manchmal klagte. Vor allem über Bauchschmerzen. Ich hörte sie sagen: »So was. Hier tut’s mir weh … und da auch.« Aber deshalb ging sie nicht zum Arzt. Für uns ist der Arzt ein Kumpel, den man in der Kneipe trifft, mit dem man auf dem Dorffest einen trinkt. Für uns ist er kein Arzt, wir vermeiden es im Gegenteil sorgfältig, in ihm etwas anderes zu sehen als den Menschen. Ärzte sind dazu da, Krankheiten zu erfinden. So sieht die Generation meiner Eltern und unsere soziale Schicht die Arztpraxis: als Ort der Verdammnis.

    Da die Schmerzen nicht aufhörten, ging sie schließlich doch hin. Ein wenig spät, hieß es. Die Untersuchungsergebnisse zeigten klar und deutlich, was nicht zu akzeptieren ist. Krebs. Zunächst der Lymphknoten, dann weitere Organe, soweit dafür empfänglich. Eine echte, breit gestreute Scheiße.
    Ich möchte, dass sie das wieder wegwischt, was sie da gerade in der Bar meines Bruders gesagt hat. Ich kann nicht anders: In der Sekunde darauf schöpfe ich schon wieder Hoffnung. Papa überlebt das Bergwerk, da kann doch Maman nicht einer kleinen Krankheit erliegen. Ich sage mir, dass der ganze medizinische Fortschritt, Mamans unglaubliche Widerstandskraft, die Strahlkraft meines beginnenden Erfolgs, die Liebe, mit der wir sie umgeben werden, dass ihr all das helfen wird, den Prognosen zu entkommen. Nichts ist unumstößlich, nur der Tod, und solange der noch nicht da ist… Ich glaube an Wunder, weil ich an das Leben glaube. Das alles sage ich mir in jeder Sekunde, und ich werde es mir noch tausendmal sagen, jedes Mal, wenn ich die Kraft dazu habe.
    Wir brauchen ein paar Tage, bis wir wieder leben, Normalität vortäuschen, an etwas anderes denken oder zumindest so tun können, bis wir wieder mitspielen können. Das Leben geht weiter. Sie ist da, Maman ist da, krank und sehr erschöpft, aber da.
    Ich spreche mit Didier Barbelivien: »Ich brauche ein Lied, schnell.« Ich sage ihm nicht alles, aber das Wesentliche: dass meine Mutter sterben wird.
    Im Augenblick hat er nichts, aber er hört mir zu und gibt sich zuversichtlich. Er ruft mich an. Er hat tatsächlich einen Song, den er nicht unterbringen konnte, der mehrmals abgelehnt wurde. Er heißt: »Mademoiselle chante le blues«  – Mademoiselle singt den Blues.

    Ich singe ihn und drücke

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