Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
verspeist und die sicher zu seiner guten Laune beiträgt. Auch der Wein tut das Seine, und mein Vater steht mit einem Lächeln auf dem Bürgersteig der Avenue Lowendal. Sein Gesicht ist für mich die Bestätigung, dass das Abendessen gut verlaufen ist.
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Am nächsten Tag singe ich im Fernsehen. Die PR-Tour für die Platte beginnt. Wir sind am Ende des Countdowns, von nun an ist »Jalouse« in den Läden. Und ich muss auch ran, damit es ein Erfolg wird. Ich denke an Forbach zurück, an unser Haus, an Maman. Ich erinnere mich an die, die ich im Fernsehen und im Radio bewunderte, und mir wird bewusst, dass jetzt ich an der Reihe bin. Ich habe darauf gewartet, ohne es zu erwarten. Vor allem habe ich mich schon seit Langem darauf vorbereitet. Man schminkt mich  â ein wenig zu stark  â, frisiert meinen dunkelblonden, dauergewellten Schopf, der mein Gesicht zur Hälfte verdeckt, und ich ziehe die je nach Bühne unterschiedlichen passenden Sachen an, vom kleinen schwarzen Jäckchen mit Goldmotiv mit hautengem schwarzem
Minirock und schwarzen Lederhandschuhen bis hin zum weiÃen Overall mit Schulterstücken. Ich sehe aus wie eine DreiÃigjährige. Man stellt mir Fragen, die ich schüchtern beantworte. Man lässt mich singen. Wenn die Kameras aus sind, beglückwünschen mich die Moderatoren und verheiÃen mir eine glorreiche Zukunft.
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François Bernheim setzt auf die Karte des Pariser Kulturlebens, um mich zu lancieren. Er nimmt mich zu eleganten Abendveranstaltungen mit, zu privaten Festen, ins Castel. Er stellt mich vor, rühmt meine Stimme, zeigt mich jedem, der etwas für meine Platte und meine Karriere tun könnte. Die Leute sind höflich zu mir, korrekt, nur manchmal ein wenig penetrant. Aber ich lasse mich nicht täuschen. Ich spüre die taxierenden Blicke. Ich höre die Fragen hinter meinem Rücken: »Wer ist denn die?« Ich kann ihrer hämischen Neugier und ihrer Herablassung nur den Rücken zukehren. Ich bin provinziell, die Tochter armer Leute, und das sieht man. Ich spreche ihre Sprache schlecht, ich kenne ihren Verhaltenskodex nicht. Ich mache Fehler, syntaktische und geschmackliche. Und wenn ich mich im Fernsehen sehe⦠Hilfe! Vor allem mein Mund ist gar nicht schön, wenn ich singe. Die Kritiker werfen mir vor, dass ich meiner Stimme so wenig ähnele. Zu jung und zart für ein so tiefes Timbre, das aus der Erde der Baumwollplantagen aufzusteigen scheint. Sie finden das irgendwie störend.
Der Titel hat keinen Erfolg. »Jalouse« findet nur in einem kleinen Kreis Anklang, die Platte verkauft sich nicht. Ich habe einen Geschmack von Misserfolg im Mund. François Bernheim versucht, mir Mut zu machen, behauptet, beim nächsten Mal klappe es bestimmt, man müsse Geduld haben auf dem
Weg zu den Sternen. Er werde sehr bald ein geeignetes Lied für mich finden, und das werde dann Wunder wirken. Für den Augenblick bin ich ein wenig enttäuscht.
Nicht jedoch resigniert. Ich habe einen Ãberlebensinstinkt, ich will Erfolg haben, für Maman, für meine Familie und meine Heimatregion. Ich kann an diesem Punkt nicht aufhören, jetzt, wo ich Paris kenne und meine Angst, nicht zu gefallen, überwunden habe. Für mich gibt es kein Zurück mehr. Didier Barbelivien ist es, an den François Bernheim zuerst denkt, an den Texter, der für die groÃen Stimmen der letzten zehn Jahre geschrieben hat ⦠Ich bin ihm in Françoisâ Begleitung ein- oder zweimal begegnet und fand ihn sympathisch. François sagt ihm, ich bräuchte jetzt wirklich einen guten Song. Und sollte er einen in der Schublade haben, so möchte er ihn mir bitte geben, es sei dringend. Jetzt muss ich Erfolg haben. Bis jetzt hatte ich es nicht eilig damit, ich ging in aller Ruhe meinen Weg. Doch jetzt zählt die Zeit. Denn nun ist Maman krank.
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Ich habe es gerade erst erfahren. Wir waren mit Maman bei Egon in seiner Bar Royal Pub, das x-te Lokal, das mein Bruder zum Spaà gekauft und wieder aufgemöbelt hat. Wir tranken einen Kaffee zusammen und beglückwünschten Egon, der uns voller Genugtuung seine Neuerwerbung vorführte. Alles lief gut, die Stimmung war fröhlich, wie jedes Mal, wenn mehrere Mitglieder der Familie Kaas zusammen sind. Natürlich lieÃen wir die Gelegenheit nicht aus, uns über Egon und seinen Bar-Tick lustig zu machen. Doch dieses Mal lachte Maman nicht
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