Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
zweifeln ⦠Wie mühsam es ist, ein kleines Mädchen geblieben zu sein! Ich könnte mir viele Momente unnötiger Angst ersparen.
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In seinem Büro sagt Claude, er sei sehr zufrieden mit dem, was er gesehen habe, das Casting sei damit beendet. »Ich habe meine Jane«, bekräftigt er.
Verwundert hake ich nach: »Sind Sie sicher?« Ob er nicht doch lieber noch mehr Kandidaten vorspielen lassen wolle? Ob er sicher sei, dass er sich nicht in mir täusche? Wenn Cyril dabei gewesen wäre, hätte er vermutlich groÃe Lust gehabt, mich zu ohrfeigen. Mich selbst zu vermarkten, meine Qualitäten herauszustellen, ist anscheinend wirklich nicht mein Ding. Lelouch ist sich seiner Entscheidung absolut sicher. Ich bin seine Jane. Seine Spontaneität beunruhigt mich: Wenn er so rasch Ja sagt, kann er seine Meinung genauso schnell ändern. Er bemerkt die Sorge in meinem Blick und beteuert noch einmal, ich sei angenommen worden, ich sei perfekt, alles werde gut laufen. Auf dem Rückweg ins Hotel bin ich wie betäubt. Ich muss das alles erst noch verdauen. Ich bin als Dilettantin zu einem Casting gegangen, das mir am Ende sogar einen Heidenspaà machte, und dann werde ich auch noch ausgewählt. Das Leben ist unglaublich!
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Nachdem ich es endlich wirklich begriffen habe, flippe ich fast aus. Die Hauptrolle! Lelouch! Ich bin Sängerin, nicht Schauspielerin! Vom Hotel aus rufe ich Cyril an, der wahrscheinlich schon auf heiÃen Kohlen sitzt.
»Ich bin ein Glückskind, Cyril, sie haben mir die Rolle gegeben!«
Er ist auÃer sich vor Freude und schreit fast ins Telefon: »Du bist ja verrückt, das ist genial, eine Supernachricht, ich bin so stolz auf dich, du wirst es toll machen, du wirst schon sehen.«
Die Reaktionen in meiner Umgebung sind enthusiastisch und zeigen auch einen gewissen Stolz. Doch ich selbst kämpfe in der Zeit vor den Dreharbeiten mit der Angst. Ich kann mir noch so oft sagen, dass ich alles geben werde, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, warum es schiefgehen sollte, dass Lelouch kein Monster ist, dass ich nichts riskiere  â doch je näher der Termin rückt, desto mehr gerate ich in Panik. Ich bin völlig verunsichert. Wir fangen in zwei Wochen an, und ich habe immer noch kein Drehbuch. Ich habe aus Claudes Beschreibungen eine vage Vorstellung von der Handlung, von meiner Rolle, von Jane, aber die Details ⦠Immerhin weià ich, was er mir im Vertrauen gesagt hat: dass mein von so viel Kummer trauriger Blick mein Lächeln, wenn es mein Gesicht erhellt, umso stärker leuchten lässt. Dass ich meinen ersten Film mit Claude mache, erschreckt mich, und zugleich befreit es mich von Komplexen. Er will, dass seine Schauspieler natürlich, unvorhersehbar, frei sind. Er erwartet von ihnen GroÃzügigkeit und völliges Loslassen. Eben. Mit dem Loslassen habe ich ein kleines Problem. Um sich gehen zu lassen, die Kontrolle aufzugeben, muss man sich selbst und den anderen vertrauen. Lelouch könnte glatt mein Therapeut sein. Ich muss mir Gewalt antun, ich muss mich darauf einlassen, dass mich mein Leben vor der Kamera überfällt, was ich normalerweise, wenn ich kein Drehbuch habe, auf der Bühne nicht zulasse.
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Sonnenstrahlen
Ich glaube, sie sind glücklich. Meine Schwester, meine Brüder und ihre Familien. Sie so lächeln zu sehen, in diesem Sonnenstrahl, der alles erwärmt, tut mir gut. Schon um dieser Minute, um dieses Fotos willen hat es sich gelohnt, diese Familienreise zu organisieren ⦠Wir sind zusammen, wenn auch nicht mehr vollständig, die Verstorbenen fehlen. Doch wir, die wir heute da sind, leben, wir teilen diese Luft, diesen Augenblick, diese Erinnerung. Ich könnte fast heulen. Denn in der übrigen Zeit fühle ich mich zu weit von ihnen entfernt.
Sie staunen, seit sie die groÃe Neuigkeit erfahren haben: Ich werde in einem Film von Lelouch mitspielen. Wir reden viel miteinander, sie beglückwünschen mich, aber ich möchte sie gern häufiger sehen. Ich bin über ihr Leben halbwegs auf dem Laufenden, wir telefonieren regelmäÃig, aber wir sehen uns selten. Seit Papas Tod habe ich das Gefühl, den Kontakt zu ihnen zu verlieren. Wenn ich ehrlich bin, hat sich die Distanz schon nach Mamans Tod ergeben. Die Familientreffen wurden seltener, und sie waren nicht mehr wie früher. Die Bindung ist schwächer geworden. AuÃerdem ist seither
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