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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
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meine Hand derart intensiv festhielt, dass mich schauderte. Er sah mich mit einem geradezu außerirdischen Blick mehr als durchdringend an. Mir war, als tauchte er in mich ein, als schaute er in mich und durch mich hindurch. Es war extrem unangenehm. Als wäre mein Geist nackt. Er projizierte sich in mein Inneres wie in eine andere Welt und erzählte mit seinen Augen davon. Ich fand es erschreckend. Ich wagte nicht, ihn zu bitten, damit aufzuhören, aber so etwas hatte ich noch nie gespürt. Diese erstaunliche Erfahrung hat mich gezeichnet. Und jetzt durchlebe ich sie wieder.
    Deshalb mag ich diese Szene mit Jane und der Heilerin nicht. Anfangs betrachtete ich sie fast als eine Belohnung, den leichten Teil einer insgesamt eher harten Sequenz. Filmen ist hart! Auch wenn die Atmosphäre am Set dank Claudes Spontaneität und Jeremy Irons Witzeleien angenehm ist, sind die Arbeitstage sehr ausgefüllt, und von mir wird natürlich enorm viel verlangt, weil ich die weibliche Hauptrolle spiele. Ich verbringe viele Stunden in der Maske und auch damit, gegen die Hitze anzukämpfen, die das Drehen schwieriger macht als erwartet.
    Dabei bin ich widerstandsfähig. Ziemlich sportlich. Und sehr motiviert. Doch was ich gerade hinter mir habe, die Szene mit der Hexe, hat mich geschafft. Das war nötig, damit meine Jane glaubwürdig wird als traurige, gedächtnislose und heruntergekommene Sängerin, als Kranke, die trotz allem noch nach dem letzten Mittel zum Überleben greift. Das Mittel ist unter anderem das Grab, das auf einer Anhöhe liegt. Wie es sich bei jedem anständigen spirituellen Weg gehört, versteckt es sich oben auf einem Berg. Einem Berg aus Sand. Um die Chance zu haben, einem Wunder zu begegnen,
muss man die Düne zur heißesten Zeit erklimmen, mittags und ohne Wasser.
    Â 
    Bei einem »normalen«, das heißt eiligen Regisseur hätte ich mich damit begnügt, in ein Wägelchen zu steigen, das mich in der Mitte der Düne abgesetzt hätte, mit Kühltaschen voller Wasserflaschen, um Ohnmachtsanfällen und anderen zeit-und geldraubenden Zwischenfällen vorzubeugen. Bei Claude Lelouch ist das anders. Er erklärt mir, ich müsse in der brennenden Sonne die Düne hinaufrennen. Richtig.
    Â»Bis ganz nach oben?«, wage ich zu fragen.
    Â»Ja, genau, bis nach oben, bis zum Grab.« Er sieht nicht so aus, als mache er Witze, das ist keine Mutprobe, kein Traum.
    Es ist Frühling, und wir sind in Marokko, mitten in der Wüste. Es ist so heiß, dass ich mich schon um acht Uhr morgens vor der Sonne schützen muss. Vor allem, weil ich so leicht einen Sonnenbrand bekomme. Ich sehe, wie steil der Hang ist, den ich hinaufmuss, und bekomme Angst. Zumal erschwerend hinzukommt, dass man im Sand nicht richtig Fuß fassen kann und dadurch um Millimeter oder sogar Zentimeter zurückrutscht. Bösartig, wie ich bin, flehe ich Cyril an, gemeinsam mit mir die Düne hinaufzulaufen, sozusagen aus Prinzip: Wenn ich mich schinden muss, soll er sich auch schinden! Er braucht ja bloß eine Dschellaba überzuziehen und sich unter die Komparsen zu mischen. Er hat die Pflicht, solidarisch mit mir zu sein. Ich bin wirklich eine falsche Schlange. Zu seinen Manageraufgaben gehört es durchaus nicht, sich derart an meinen Strapazen zu beteiligen. Schon als Kind hatte ich die Gewohnheit, möglichst alle mitzuverpflichten, wenn ich etwas Unangenehmes hinter mich bringen musste. Je mehr Dumme wir waren, desto weniger
unangenehm würde es sein, davon war ich überzeugt. Wenn ich zum Beispiel ein eklig schmeckendes Medikament nehmen musste, bestand ich darauf, dass die anderen es auch probierten. Und wenn ich inhalieren musste  – dabei hatte ich immer das Gefühl, mein Kopf würde gleich platzen  –, sorgte ich dafür, dass noch jemand anderes in diesen Genuss kam.
    Ich bin sicher, dass ich es nicht schaffen werde, und ich möchte, dass er da ist, wenn ich zusammenbreche. Mausetot! Der Regisseur macht sich angesichts meiner guten körperlichen Verfassung keine Sorgen. Er denkt, ich sei jung und trainiert genug. Nur sind es vierzig Grad im Schatten, und das, was sie einen »Hügel« nennen, ist eine Wand. Der Aufstieg raubt mir langsam die Kräfte, stellt meine Knie auf eine harte Probe und lässt meinen Schweiß in Strömen fließen. Erschöpft nehme ich mein Martyrium weiter auf mich. Wie vorausgesehen, sinke ich

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