Madonna
selbst war, ging es ihm nicht um Tobias. Ein einziger Gedanke nur beherrschte seinen Verstand.
Hatte Kilian das auch geglaubt?
»Er sagt, dass ich es wollte, aber ich wollte es nicht, es hat doch so weh …«
Den Rest der Worte hörte Donatus nicht mehr, weil er es nicht mehr aushalten konnte. Auf dem Absatz wirbelte er herum, stürzte die Treppe hinunter und zur Küche. Durch die Hintertür schaffte er es gerade noch ins Freie, bevor sich Verzweiflung und Trauer in einem langgezogenen Schrei Luft verschafften.Als Katharina im Pfründnerinnenhaus ankam, fand sie die Kammer ihrer Mutter verwaist vor. Im ersten Moment erschrak sie fast zu Tode, aber dann wandte sie sich an eine der Dienstmägde. Das Mädchen war gerade dabei, den Flur zu wischen. Katharina fragte es, ob ihrer Mutter etwas zugestoßen war.
Die Magd, ein zierliches Ding mit einer hübschen Stupsnase und vollen Lippen, musterte sie erst von oben bis unten, bis sie sich gegen die Haare blies und den Kopf schüttelte. »Nein. Sie wollte nur runter in die Kapelle, um zu beten.«
Katharina bedankte sich, dann eilte sie die Stiege wieder hinunter und in Richtung der kleinen Kirche des Spitals.
Als sie sie jedoch durch dieselbe Tür betrat wie am Tag zuvor, fand sie sie leer bis auf einen der jungen Scholaren, der dabei war, neue Kerzen auf die Halter am Altar zu stecken, und Dr. Spindler, der vor der Madonnenstatue kniete und betete.
Als er Katharinas Schritte hörte, drehte er sich um.
»Katharina! Was führt Euch her?« Sein Lächeln war herzlich, doch zwischen seinen Augenbrauen stand eine steile Falte, die Katharina daran erinnerte, dass gestern der Spitalmeister ermordet worden war. Wahrscheinlich gab es hier im Augenblick genauso viele traurige Pflichten zu erledigen wie im Fischerhaus, dachte sie.
»Ich bin auf der Suche nach meiner Mutter«, erklärte sie ihm. »Eine der Mägde sagte mir, sie sei hier zum Beten.« Sie blickte sich um. Der Scholar war mit seiner Arbeit fertig. Er machte vor dem Altar einen Knicks, dann nickte er Dr. Spindler zu und verließ die Kapelle. Die ledernen Sohlen seiner Sandalen klangen auf dem gepflasterten Weg draußen nach, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und das Geräusch abschnitt.
Dr. Spindler bewegte sich auf der Gebetsbank. Seine Bewegungen sahen mühsam aus, und er ächzte schmerzvoll. »Oh, das ist sie, ja.« Mit dem Kinn wies er auf eine niedrige Tür, die sich zwischen Beichtstuhl und Altarraum befand. Sie war aus hellem Holz und mit silbernen Metallbändern kreuzweise verziert, in die ein Metallschläger kleine Blumen gepunzt hatte. Katharina wusste, dass sich dahinter die ehemalige Sakristei der Kapelle befand. Nachdem man das Gotteshaus umgebaut und erweitert hatte, war sie ihrer ursprünglichen Funktion beraubt und diente nun als eine Art Seitenkapelle. In ihr befand sich ein schlichterHolzaltar mit einer Schnitzerei, die Mariae Verkündigung zeigte. Der Anblick des Engels darauf war für Katharina nur schwer zu ertragen.
»Warum hat sie sich dorthin zurückgezogen?«, fragte sie nun.
»Sie möchte sich besinnen«, erklärte Spindler und lächelte leicht. »Ich fürchte, daran bin ich nicht ganz unschuldig. Wir hatten gestern ein Gespräch …«
»Über die Frage, wie eine Witwe gottesfürchtig leben kann«, vermutete Katharina.
»Genau.« Dr. Spindler erhob sich. Es sah mühsam aus, und Katharina erinnerte sich daran, dass er unter starken Schmerzen litt. »Nun«, sagte der Priester. »Ich habe ihr gerade die Beichte abgenommen. Ich denke, wir sollten sie nicht stören.«
Katharina war erleichtert. Offenbar hatte Johannes gestern Abend die Angelegenheit gründlich missverstanden. Mechthild ging es gut. Es gab keinen Grund zur Sorge.
»Komm!«, sagte Spindler, legte ihr eine Hand unter den Ellenbogen und geleitete sie zu einer der Kirchenbänke, wo er ihr bedeutete, sich hinzusetzen.
Katharina fügte sich. »Eure Hüfte ist immer noch nicht besser. Wenn Ihr mir sagen würdet, was für Beschwerden Euch plagen …«
»Nun.« Der Priester rieb sich den Nasenrücken. »Ich denke, das wird nicht nötig sein.« Als er sich nun neben sie setzte, ächzte er nicht mehr. Katharina fragte sich, ob er das absichtlich tat, um sie zu beruhigen. »Erzählt mir doch lieber, wie Ihr mit der Lektüre des Jungfrauenspiegels vorankommt!«
»Ich habe darin gelesen«, sagte sie wahrheitsgemäß.
Er musterte sie, und sie war sicher, dass er sich fragte, wie lange das gewesen war. Wie stets erwies er sich
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