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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Lasten auf ihrer ohnehin schon wunden Seele ertragen?
    »Was bedeutet das?«, flüsterte sie.
    Wenn er so pfeift, muss man mit ihm gehen, hatte Tobias gesagt. Und dann tut er einem weh.
    Katharina stützte beide Ellenbogen auf der Tischplatte ab und legte die Fingerspitzen gegen ihre Schläfen. Die Gedanken in ihrem Kopf fühlten sich an, als hätten sie scharfe Kanten.
    »Er …« Donatus holte tief Luft und setzte dann noch einmal an. »Er geht des Nachts durch die Schlafsäle der jungen Scholaren.« Seine Stimme war kaum zu hören. »Und bleibt er an einem Bett stehen und pfeift diese leise Melodie, dann weiß derjenige, dass er ihm ausgesucht hat. Man muss mitgehen.« Die Stimme versagte ihm.
    In Katharinas Kopf spielten sich die Szenen ab, die seine Worte heraufbeschworen, und sie fühlte, wie sich ihr Magen mit einem dumpfen Schmerz gegen das Grauen wehrte.
    Mehrere Atemzüge lang war es totenstill in der Küche, nur das Herdfeuer knackte leise.
    »Er führt einen in eine stille Ecke, eine Abstellkammer vielleicht oder hinter den Altar der Kapelle.«
    Der Altar? Was kam als Nächstes? Katharina schloss die Augen. Ihre Ellenbogen schmerzten von dem Aufstützen auf der harten Tischplatte. Sie war unfähig, sich zu rühren.
    »Dann zieht er einem die Hose runter, und man muss sich bücken …« Die Worte stolperten jetzt aus Donatus heraus. Katharinahörte sie und hörte sie gleichzeitig auch nicht, weil das, was er berichtete, wie mit grellen Farben gemalt in ihrem Kopf ablief …
    … und er stößt zu, wieder und wieder, und er keucht dicht an deinem Ohr, und es tut weh, so weh …
    »… so weh!« Mit einem Schluchzen verstummte Donatus.
    Katharina riss die Augen auf, kämpfte gegen die Bilder in ihrem Kopf, gegen den Schmerz, der plötzlich wieder in ihrem eigenen Leib wühlte.
    Donatus’ Lider waren gerötet, aber keine Träne rollte über seine Wangen. Oben im Haus wurden Geräusche laut, Schritte, das Poltern von Möbeln, die über den Fußboden gerückt wurden. Die Frauen erwachten und begannen ihr Tagwerk. Es erschien Katharina nicht richtig. Die Welt musste doch Notiz von dem nehmen, was sie eben erfahren hatte, musste doch innehalten angesichts so vielen Leids und … Boshaftigkeit.
    Aber sie tat es nicht.
    Sie drehte sich einfach weiter.
    In Katharina festigte sich etwas, das bis zu diesem Moment noch nicht da gewesen war. Sie würde Tobias helfen, das schwor sie sich, und sie würde dafür sorgen, dass keinem der jungen Scholaren mehr das widerfuhr, was er und möglicherweise auch Donatus durchgemacht hatten.
    »Wer ist er?«, flüsterte Katharina.
    Heftig schüttelte Donatus den Kopf. »Sie werden dich fertigmachen«, sagte er. »Genauso, wie sie mich fertiggemacht haben, als ich versucht habe, ihnen beizubringen, was in ihrem ach so wunderbaren Spital vor sich geht …«
    Katharina verspürte Unwillen. »Wer, Donatus?«, hakte sie nach.
    Aber statt ihr zu antworten, stemmte er sich in die Höhe. Von oben herab sah er auf sie nieder. Er atmete so schwer, als befände er sich wieder in der dunklen Ecke hinter dem Altar der Heilig-Geist-Kapelle. »Ich weiß es nicht!«, stieß er hervor.
    Dann warf er sich herum und rannte aus der Küche wie vom Leibhaftigen selbst gehetzt. Katharina konnte seine Schritte auf dem Flur hören, und gleich darauf wurde die Tür zu seiner Kammer ins Schloss geworfen.Regungslos blieb sie sitzen. Die Grütze in ihrer Schüssel wurde kalt und bildete eine ekelhaft aussehende Kruste. Katharina schob die Schüssel von sich, stützte den Kopf wieder auf, legte beide Hände über die Augen und drückte zu. Grelle Lichtfunken erschienen hinter ihren Lidern, bildeten Muster, die sich zusammenzogen und wieder auseinanderflirrten, tanzende Wirbel und sich windende Blitze. Sie konnten die Bilder nicht überlagern, die Donatus’ Schilderung in ihr wachgerufen hatte, und sie halfen auch nicht gegen die Klingen, die sich jetzt wieder heiß und schmerzhaft in ihren Leib gruben.
    »Geht es dir nicht gut?«
    Hiltruds Stimme erklang so unverhofft, dass Katharina zusammenzuckte. Sie ließ die Arme sinken und schüttelte den Kopf. »Nein. Schon in Ordnung. Es ist nur ein bisschen viel zurzeit.«
    Mit einem mitleidigen Lächeln nahm Hiltrud Katharina gegenüber Platz. »Ich habe mit den Frauen gesprochen«, sagte sie, und Katharinas Züge verhärteten sich, weil sie fürchtete, jetzt würde erneut das Thema der täglichen Messe auf den Tisch kommen. Doch sie täuschte sich. »Laurentia und

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