Madonna
das Gleichgewicht wiederherzustellen, das durch die feigen Morde in ihrer Stadt entstanden war. Zahn um Zahn, so stand es schon in der Bibel. Ein Mord bedurfte der entsprechenden Sühne, und es war wichtig, dafür zu sorgen, dass der Mörder möglichst schnell seinen Henker traf.
An der Pegnitz bogen Silberschläger und Eberlein ab und erreichten schon wenig später den Eingang zum Gerberviertel. Ein abgerissen aussehendes Mädchen lief ihnen über den Weg, schmutzig das Gesicht und nackt die Füße und Beine. Bei diesem Anblick musste Silberschläger an die Schenkel der Athene in seinem Kontor denken. Ob Katharinas …
Er unterdrückte ein Ächzen.
Aus stumpfen Augen starrte das Kind Silberschläger an, trottete dann aber weiter, ohne das Wort an ihn zu richten.
»Pöbel!«, entfuhr es ihm unwillkürlich.
Eberlein nickte, und Silberschläger wusste, dass sie beide das Gleiche dachten. Pöbel und Fremde. Einer so schlimm wie der andere! Sollten sie sich doch gegenseitig die Kehle aufschlitzen!
Wie passte Rotgerber in das Bild?
Mit großen Schritten bog Silberschläger um eine Ecke. Hier irgendwo musste es sein – wenn er den Wegbeschreibungen seiner Männer Glauben schenken konnte. Sein Blick fiel auf einen schmalen Durchlass, in dem ein einzelnes schneeweißes Huhn herumstolzierte und Körner vom schmutzigen Boden aufpickte.
»Da ist es.« Er wies auf das Tier. »Kommt!«, forderte er seinen Büttel auf und betrat die Gasse.
Die Marktfrau, die die Tote gefunden hatte, war noch immer da. Zwei Büttel bewachten sie und gaben acht, dass sie sich nicht heimlich aus dem Staub machte. Ihr schien es gar nicht zu gefallen, dass sie hier festgehalten wurde. Mit schriller Stimme und weit ausholenden Gesten beschwerte sie sich lauthals bei Silberschläger, kaum dass dieser vor ihr aufgetaucht war.
»Seid Ihr dieser Lochschöffe, auf den ich warten soll?« Sie streckte einen dürren Zeigefinger nach ihm aus, als wolle sie ihm drohen. »Ich habe nicht ewig Zeit! Ich muss auf den Markt zurück und mein Fass abholen. Rotraud wartet nicht ewig auf mich, und das Geld muss ich auch zu Hause abliefern. Mein Mann wundert sich bestimmt schon, wo ich bleibe!« In dieser Weise ging es noch eine ganze Weile weiter. Silberschläger hörte kaum richtig hin, sondern nutzte die Zeit dafür, das Marktweib genauer zu betrachten.
Sie hatte ein hageres Gesicht, strähnige blonde Haare, die sie nur nachlässig unter einer Haube verborgen hatte. Das Auffallendste und eigentlich auch das Anziehendste an ihr waren ihre ebenmäßigen weißen Zähne. Leider saßen sie hinter schmalen, blutleeren Lippen, denen man ansehen konnte, dass ihre Besitzerin im Leben nicht allzu viel zu lachen hatte.
Nein, sie reizte ihn nicht im mindesten.
»Bist du jetzt endlich fertig?«, fragte er, als die Frau einmal kurz Luft holen musste.
Erbost starrte sie ihn an, um dann zu nicken.
»Gut.« Silberschläger straffte seine Schultern und verschob den Gürtel ein wenig, so dass die Frau sein Schwert bemerken musste. »Wie ist dein Name?«
»Lisa«, antwortete sie. Auf einmal klang sie weitaus weniger wütend. Fast schüchtern senkte sie den Blick.
Silberschläger unterdrückte ein zufriedenes Lächeln. Bisher hatten seine imposante Gestalt und die Tatsache, dass er als Ratsmitglied und vereidigter Lochschöffe Schwert und Dolch am Gürtel trug, noch stets ausgereicht, um Angehörige des Pöbels zu beeindrucken.
»Gut. Lisa. Was ist geschehen?«
Sie schluckte und wies hinter sich in die Tiefe der Gasse. Das Huhn pickte noch immer um sie herum und machte dabei leise Geräusche, die in Silberschlägers Ohren irgendwie zufrieden klangen. Mit einem blitzschnellen Tritt beförderte er das Tier aus seiner Reichweite. Es schrie auf, Federn flogen durch die Luft, dann prallte es gegen die Wand des nächsten Hauses, wo es für einen Moment lang benommen liegen blieb.
Lisa schluckte erneut, heftiger diesmal.
Silberschläger genoss das Gefühl, Macht über sie zu haben. Kurz schweiften seine Gedanken ab zu Katharina Jacob.
»Also?«, fragte er und fand, er klang dabei überaus liebenswürdig.
»Gertrud«, haspelte Lisa. »Meine … Bekannte. Sie ist tot. Liegt da hinten in dem Hof, und jemand hat ihr …«
Mit einer harschen Handbewegung schnitt Silberschläger ihr das Wort ab. »Das weiß ich alles längst.« Er hatte gehofft, aus dieser Krähe etwas Brauchbares herauszubekommen – irgendeinen Hinweis, dem er nachgehen konnte und der ihn am Ende zu dem
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