Madonna
als nachsichtiger Beichtvater und hinterfragte es nicht. »Gut«, sagte er nur und nickte vor sich hin.
Sie überlegte, was er nun von ihr erwartete. »Darf ich Euch eine Frage stellen?«, erkundigte sie sich.
Er lächelte. »Darum sitze ich hier, denke ich.«
Sie erwiderte sein Lächeln. »Als Brunhild gestern gestorben ist, da habt Ihr mir gesagt, dass der Mensch mit jedem Atemzug sündigt. Wie kann ich damit leben?«
»Nun. Durch Adams Sündenfall im Paradies kam die Sünde auf jeden Menschen nieder. Wir werden in Sünde empfangen, in Sündegeboren, und wir leben in Sünde. Bis zu unserem letzten Atemzug. Aber wir müssen daran nicht verzweifeln, denn Christus hat uns durch seinen Kreuzestod errettet.«
Katharina wusste, dass Spindler das aus ganzem Herzen glaubte, und sie war mehr als neidisch auf seine Sicherheit. »Ihr sprecht von der Erbsünde. Ich meine aber meine eigenen alltäglichen Sündhaftigkeiten.« Sie zögerte, dachte an ihre unkeuschen Träume, für die sie doch nichts konnte, oder? »Was ich meine, ist: Bin ich frei zu entscheiden, ob ich sündigen will oder nicht?«
»Ihr seid frei, Euch gegen die Sünde zu entscheiden. Natürlich.«
»Aber wenn es stimmt, was die Priester sagen, wenn alle Schöpfung und jeder Mensch von Gott vorhergedacht und vorherbestimmt sind, dann heißt das doch nichts anderes, als dass Gott wollte, dass Brunhild ohne die heiligen Sakramente stirbt. Und dann heißt es auch, dass er es so bestimmt hat, dass ich … sündige Träume habe.« Sie musste sich ein Herz fassen, es auszusprechen.
Spindler sah sie an. In schneller Folge huschten mehrere Gefühlsregungen über sein Gesicht, zuerst Verwunderung, dann Nachdenklichkeit und schließlich Traurigkeit. »Eure Träume«, sagte er langsam, »sind nicht von Gott geschickt.«
»Sondern vom Teufel, der mich verderben will, ich weiß schon!« Sie fühlte Widerwillen gegen ihre eigenen Worte. »Was ich sagen will, ist: Wenn Gott alles, was geschieht, so will, warum hat er dann zugelassen, dass Luzifer aus dem Himmel stürzt und …«
»Kind!« Spindler griff nach Katharinas Händen. »Ihr grübelt über Dinge, die sogar den gelehrtesten Theologen den Schlaf rauben!«
»Was ich einfach nur wissen muss«, murmelte sie, »ob es für mich überhaupt einen Weg gibt, Gottes Gnade zu erlangen.«
Um seine Augen erschien ein weicher Zug. »Die Tatsache, dass Ihr diese Zweifel mit Euch herumschleppt, sollte Euch ein Zeichen sein, so hell wie ein Leuchtfeuer in dunkelster Nacht!«
Sie blickte ihn verwundert an. Gewöhnlich neigte er nicht zu so blumiger Sprache.
Jetzt lachte er leise auf. »Jeder große Heilige war von Zweifeln darüber zerfressen, ob er der Gnade Gottes teilhaftig ist oder nicht.«
»Was kann ich tun, um Gottes Gnade zu erlangen – abgesehen davon, Euer Buch zu lesen und zu versuchen, danach zu leben?«
Übergangslos wurde er ernst und ließ nun auch Katharinas Hände los. »Wir haben keinerlei Einfluss darauf, ob wir der göttlichen Gnade teilhaftig werden oder nicht, denn wenn wir uns für die Gnade entscheiden, dann ist dies selbst bereits das Geschenk der Gnade.«
Verwirrt senkte Katharina den Blick, doch bevor sie noch sagen konnte, dass sie ihn nicht verstand, sprach Spindler schon weiter. »Vertrauen, Kind. Das ist das einzige Mittel.«
Hilflos schüttelte sie den Kopf, und sie wusste, dass er es falsch deuten musste. Er würde denken, sie verstehe noch immer nicht, was er ihr sagen wollte. In Wahrheit jedoch konnte sie nicht vertrauen. Das war die Ursache für alles, vielleicht sogar die Ursache für ihre melancholia . Sie vertraute nicht. Nicht ihrer Mutter. Nicht den Menschen, die sie liebten. Nicht Gott. Und schon gar nicht sich selbst.
Sie schloss die Augen und hielt die Luft an, bis ihr schwindelig wurde.
»Kind!« Ganz sanft war Spindlers Stimme. Er wartete, bis sie ihn ansah. »Wenn Ihr selbst nicht daran glauben könnt, dann vertraut mir. Ich bin mir sicher, dass Ihr der Gnade teilhaftig seid. Ihr seid voller Zweifel, aber genau das macht Heiligkeit aus!«
Heiligkeit! Katharina stieß Luft durch die Nase. Hatte nicht auch Donatus dieses Wort im Zusammenhang mit ihr erst kürzlich benutzt?
Sie nickte. Dann erhob sie sich, schaute von oben herab auf den Priester nieder. »Ich danke Euch«, sagte sie leise.
Und während sie den Mittelgang entlangschritt, um die Kapelle zu verlassen, kreisten ihre Gedanken immer nur um das Eine. Sie konnte nicht vertrauen.
Auch Spindler nicht?
14.
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