Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
Mörder führen würde. Doch Lisa verlor jetzt zusehends an Selbstbeherrschung. Zuerst füllten Tränen ihre Augen, dann begann ihr Kinn zu zittern. Silberschläger unterdrückte ein Seufzen. »Ich werde mir selbst ein Bild machen, was mit ihr passiert ist. Komm mit!«
    Lisa war anzusehen, dass es ihr gar nicht behagte, sich Gertruds Leiche noch einmal nähern zu müssen, aber sie wagte es nicht, Silberschläger zu widersprechen. Tapfer blinzelte sie die Tränen fort. Sie nickte, dann folgte sie dem Lochschöffen und Eberlein, der vorausging, tiefer in das Dunkel der schmalen Gasse hinein.
    Das Huhn hatte sich inzwischen von dem Tritt erholt und rappelte sich auf. Als es seine Körnersuche fortsetzte, hing sein rechter Flügel lahm nach unten.
    Die Tote lag hinter einer Biegung, vor einem der Hühnerställe, die hier im trüben Halbdunkel in mehreren Reihen übereinandergestapelt waren. Das Erste, was Silberschläger wahrnahm, als er seinen Blick auf den zerschundenen Körper der Frau richtete, war das viele Blut. In einer riesigen Lache hatte es sich rund um ihren Körper ausgebreitet, fast kreisrund, unterbrochen nur von einer schmalen Stelle, deren Herkunft Silberschläger sich nicht sofort erklären konnte.
    Das Zweite, was er sah, war der tiefe, klaffende Schnitt, der von einem Ohr der Toten bis zum anderen reichte. Etwas schimmerte gelblich-weiß in dem roten Fleisch, und Silberschläger brauchte einen Moment, bis er begriff, dass es sich um einen Knochen der Wirbelsäule handelte. Der Mörder, der diesem dämlichen Weib die Kehle aufgeschlitzt hatte, war mit großer Brutalität und offenbar auch mit ziemlich viel Kraft vorgegangen.
    Genau wie bei Rotgerber.
    Silberschlägers Magen hob sich bedrohlich. Zum Glück war er beim Frühstück unterbrochen worden, bevor er mehr als ein paar Bissenherunterbekommen hatte. Das kam ihm jetzt zugute. Er richtete einen Blick auf Eberlein, der mit einem Gesicht, das in rascher Folge zwischen schneeweiß und grasgrün wechselte, neben ihm stand.
    »Hast du den Täter gesehen?«, fragte er Lisa. Im Leben musste die Tote einmal recht hübsch gewesen sein, dachte er.
    Er erhielt keine Antwort. Erst, als er den Blick auf die Marktfrau richtete, begriff er, dass sie genickt haben musste. Sie tat es noch immer. Mit großen Augen starrte sie auf die Leiche, und dabei wackelte ihr Kinn auf und ab, als sei sie eine dieser teuren Puppen, die mit einer Zahnradmechanik im Inneren versehen waren und stets nur dieselbe Bewegung ausführen konnten.
    »Du hast den Mörder gesehen?« Silberschläger griff nach Lisas Arm und ruckte daran, um die Marktfrau auf sich aufmerksam zu machen.
    Langsam, wie im Rausch, wandte sie ihm das Gesicht zu, doch es dauerte eine Weile, bevor sie ihn tatsächlich ansah.
    »Herrgott!«, entfuhr es Silberschläger. »Rede schon, Frau!«
    »Ja«, flüsterte sie. Ihre Hände hatten sich in die Falten ihres Rockes gekrampft.
    »Wie sah er aus?«
    Sie verdrehte die Augen gen Himmel, und kurz hatte Silberschläger die Befürchtung, sie würde ihm hier und jetzt ohnmächtig werden. Doch offenbar war dies die Miene, die sie gewöhnlich beim Nachdenken aufsetzte. »Groß. Schlank.« Sie musterte Silberschläger von Kopf bis Fuß. »Viel schlanker als Ihr. Und auch größer.«
    Eberlein stieß ein kurzes Schnauben aus. »Geht es vielleicht ein bisschen genauer?«, schnauzte er.
    Lisa zuckte zusammen. Ihr Blick fiel auf die Tote, und plötzlich waren ihre Augen wieder voller Tränen. Diesmal liefen sie über. »Ich …« Lisa schniefte. »Ich weiß es doch nicht!« Ein Schluchzen schüttelte sie so heftig, dass ihr gesamter Körper zu beben begann.
    »Großartig gemacht!«, knurrte Silberschläger Eberlein an.
    Der zog den Kopf ein.
    »Was soll’s!« Silberschläger starrte auf die Tote. »Das ist nur ein Marktweib. Sagt den anderen Bescheid: Sie kann jetzt abgeholt werden.«
    Bei diesen Worten unterbrach Lisa ihr Schluchzen. »Was passiert jetzt mit ihr?«
    »Sie kommt ins Lochgefängnis«, erklärte Eberlein ihr mit übertrieben sanftem Tonfall. »Dort wird sie eine Weile bleiben, während wir versuchen, ihren Mörder zu finden. Aber es wird nicht leicht sein, wenn du uns nicht eine genauere Beschreibung lieferst.«
    »Ich habe ihn doch kaum gesehen, es ging alles so schnell!«, jammerte die Frau. Sie wich seinem forschenden Blick aus. »Ich bin hergekommen, und er ist an mir vorbeigetaumelt. Teuer angezogen war er, das weiß ich noch.«
    Ein Patrizier? Das fehlte ihm

Weitere Kostenlose Bücher