Madonna
und Bader und Heiler. Den Spitalmeister und sogar dessen Frau beschuldigte er, sich an Kilian vergangen zu haben.
Am Ende hatte er froh sein können, dass sie ihn einfach nur rauswarfen. Sie hätten ihn ebenso wie Kilian anklagen können, denn durch die Gefühle, die er für den Jungen empfunden hatte, hatte auch er sich am göttlichen Gesetz versündigt. Doch sie hatten es vorgezogen, ihn in die Gosse zu stoßen, um eine offizielle Untersuchung zu vermeiden.
Jetzt hob Donatus den Kopf. Seine Lider brannten. Ein wenig Gischt sprühte in die Höhe und netzte sein Gesicht. Sie fühlte sich kalt an.
Er musste zurück zu Tobias! Der Junge war der Einzige, der ihm einen Namen nennen konnte. Donatus musste noch einmal versuchen, mit ihm zu reden, und diesmal würde er stärker sein und es noch behutsamer angehen.
Für Kilian.
Er löste die Hände vom Brückengeländer. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause.
Als er das Fischerhaus erreichte, stand ein Karren vor der Tür, und zwei kräftige Männer waren gerade dabei, die Leiche von Brunhild abzutransportieren.
Hiltrud stand im Flur und warf ihm einen bösen Blick zu, den er nur zu gut zu deuten wusste. Wo warst du?, bedeutete er. Warum kümmerst du dich nicht um deine Pflichten hier?
Er achtete nicht auf sie, sondern drängte sich an ihr vorbei. Mit langen Schritten rannte er die Treppe hinauf bis vor Tobias’ Kammer.
Er hatte schon die Faust erhoben, um gegen die Tür zu klopfen,doch dann ging ihm auf, dass er sich vorgenommen hatte, behutsamer zu sein. Also ließ er den Arm wieder sinken. »Tobias?«, rief er durch die Tür.
»Da wirst du kein Glück haben.« Hiltrud stand auf halber Treppe, so dass sie ihm über den obersten Absatz hinweg einen Blick zuwerfen konnte.
Fragend wandte Donatus sich zu ihr um.
»Er ist weg.«
Ihre Worte rannen eisig durch Donatus’ Verstand. »Weg?« In seiner Phantasie sah er gurgelndes Wasser, einen leblosen Körper, der diesmal nicht Kilians Züge trug, sondern die von Tobias.
Hiltrud nickte. »Er muss kurz nach dir fortgerannt sein. Geh ruhig rein und sieh selbst nach!«
Das tat er. Er fasste nach der Klinke und drückte sie hinunter. Lass versperrt sein!, flehte er, bevor er die Tür aufdrückte. Lass ihn auf seinem Bett sitzen, Herr! Bitte! Er soll mich anschreien, auf mich einprügeln, weil ich ihn nicht in Ruhe lasse, es ist mir recht. Nur lass ihn da sein!
Doch sein Flehen war vergeblich.
Völlig ungehindert schwang die Tür auf und gab den Blick auf die Kammer frei.
Sie war leer.
Das Grab von Katharinas Halbbruder Matthias befand sich auf dem kleinen Friedhof an der Nordseite der großen Bürgerkirche in der Nordstadt. Katharina erreichte es genau in dem Moment, in dem die Glocken von St. Sebald den Beginn der fünften Tagstunde schlugen.
Ein schlichtes Steinkreuz markierte jene Stelle, an der Matthias’ sterbliche Überreste begraben lagen. Über dunkler Erde und einigen wenigen längst verblühten Herbstblumen ragte es auf. Matthias Körber stand darauf und das Datum seines Todes.
Nur das Jahr, kein Tag, kein Monat.
1491. Das Jahr des Großen Wahnsinns.
Am Rand des Grabes ließ Katharina sich auf die Knie sinken. Es kümmerte sie nicht, dass ihr Rock dabei schmutzig wurde. Sie zog einige der verwelkten Blumen aus der Erde und häufte sie neben sich auf dem schmalen Friedhofsweg auf. Sie war in der letzten Zeit nicht mehr sehr oft hier gewesen. Die viele Arbeit im Fischerhaus hatte siedavon abgehalten, hatte die Erinnerung an ihren Bruder mit anderen Dingen überlagert und die Trauer um ihn mit der Zeit erträglich gemacht. Doch das Gespräch mit Arnulf gestern Abend hatte Katharina zum ersten Mal seit längerem wieder an Matthias denken lassen, und nach ihrem Besuch im Spital eben, bei dem sie ihre Mutter nicht angetroffen hatte, war das Bedürfnis in ihr erwacht, hierherzukommen. Einen Moment lang mit ihrem verstorbenen Bruder allein zu sein.
»Ach, Matthias!«, seufzte sie.
Das Gespräch mit Spindler, das sie eben geführt hatte, ging ihr im Kopf herum, vermischte sich mit der Erinnerung daran, wie ihr Vater versucht hatte, die melancholia mit dem Gürtel aus ihr herauszuprügeln. Einmal – sie war vielleicht zwölf Jahre alt gewesen – hatte ihr Bruder sie gegen ihren Vater verteidigt. Der Gürtel war genau einmal auf Katharinas Rücken niedergefahren, als er seinem Vater in den Arm gefallen war. Wie einen halbvollen Strohsack hatte er ihn zur Seite gestoßen, und als ihr Vater, von der Wucht
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