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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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Nachtrabe das Tuch über dem Gesicht der Frau zur Seite schlug. Es war das vor Schrecken verzerrte Gesicht aus Richards Erinnerung, dieselben weit aufgerissenen Augen. Schlagartig kehrten die Bilder zurück, und diesmal hörte Richard auch die Geräusche wieder, die dabei entstanden waren.
    Das grässliche, tonlose Gurgeln, als die Frau an ihrem eigenen Blut ertrank.
    Das Geräusch von Blut, das auf den Boden klatschte.
    Seine Hände begannen zu zittern, sein Gesicht fühlte sich heiß an, und sein Herz hämmerte jetzt so schnell, dass er kaum noch Luft bekam. Er spürte, wie die Beine unter ihm nachgaben, doch Arnulf sprang herbei und half ihm, sich auf die Bank zu setzen.
    »Was ist?«
    Wegen des Rauschens in seinen Ohren hörte er die Frage des Freundes nur gedämpft.
    Sein Magen drehte sich um, und es kostete ihn alle Willenskraft, um sich nicht zu übergeben. Er beugte sich vor und holte so tief Luft, wie er konnte. In seinen Ohren kreischte es. Mit Mühe nur gelang es ihm, den Schwächeanfall zu bekämpfen. »Nichts«, keuchte er. »Nur so ein Anfall wie gestern Abend in der ›Diele‹.«
    Arnulf runzelte die Stirn. Schweigend starrte er auf den Branntwein, den Dengler ihnen gebracht hatte. »Lass uns gehen«, sagte er. »Wir sind hier fertig.«
    Die Wände der Sakristei drängten sich eng um Mechthild. Im einen Moment schienen sie ihr die Luft nehmen und sie erdrücken zu wollen, im nächsten kamen sie ihr vor wie eine schützende Rüstung, die sie vor den Gefahren der Welt bewahrte. Der geschnitzte Engel auf dem Holzaltar schien sich schon vor längerem von Maria ab- und ihr zugewandt zu haben. Sein Blick beruhigte und ängstigte Mechthild zugleich, und sie senkte den Kopf tiefer über ihre Hände und betete noch inniger.
    Der Rosenkranz in ihrer Hand fühlte sich längst an wie ein Teil ihres Körpers. Wieder und wieder glitten die kleinen schwarzen Perlen durch ihre Finger, und die Worte, die sie dazu sprach, kamen wie von selbst aus ihrem Mund. Der ewige Gleichklang des Mariengebets leerte gewöhnlich ihren Geist, machte sie ruhig und zuversichtlich.
    Doch nicht heute.
    Heinrich. Der Name kreiste in ihrem Kopf, ein winziges, stacheliges Tier, das hinter ihrer Stirn eingesperrt war, gegen ihren Schädel prallte, wieder und wieder und wieder, bis sie glaubte, daran irre zu werden.
    Heinrich.
    Heinrich!
    »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade«, murmelte sie. »Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.« Sie hielt inne. Dann wiederholte sie den Satz. Zögerte. Und fügte schließlich hinzu: »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
    »Du hast den Text verändert.« Dr. Spindlers Stimme riss sie aus ihrer Versenkung, und sie zuckte zusammen. Weder hatte sie ihn kommen hören, noch hatte sie mitbekommen, dass er die schwere, mit Eisenbändern versehene Tür zu ihrer Klause geöffnet hatte. Ihr Herz schlug einen Salto. Wenn Heinrich an seiner statt … Doch diesen Gedanken verwehrte sie sich sofort. Heinrich war kein Meuchelmörder. Er besaß ganz andere Waffen als verborgene Klingen oder Drosselseile. Feuer. Und fanatischen Eifer. Sie schauderte.
    »Katharina!« Der Name ihrer Tochter entfuhr ihr.
    Dr. Spindler schloss die Tür hinter sich und verriegelte sie. Dann warf er einen Blick auf die Gebetsbank, die Mechthild wegen ihrer gelähmten Beine nicht benutzen konnte, und setzte sich schließlich neben sie auf die Sitzbank, die er eigens für sie hatte hereinschaffen lassen. »Alles ist gut.«
    »Was habt Ihr …?« Auf einmal fühlte sie sich atemlos. Der Rosenkranz glitt ihr aus den Fingern und rutschte zu Boden.
    Spindler hob ihn auf. Sanft ließ er ihn durch seine Hände gleiten. »Katharina geht es gut«, sagte er. »Du musst dir keine Sorgen mehr machen. Alles ist gut.«
    Sie spürte Erleichterung wie ein süßes Gift durch ihre Adern rinnen. Sie wollte sich dagegen wehren, wollte skeptisch sein, ihn fragen, wie er so sicher sein konnte, aber sie ertappte sich dabei, dass sie sich Spindlers Worten hingab. Es tat gut, vertrauensvoll wie ein Kind zu sein. Wenigstens einen Augenblick lang.
    Spindler gab ihr den Rosenkranz zurück. »Warum hast du die Todesbitte hinzugefügt?«, fragte er. »Du weißt, dass sie nicht zu dem eigentlichen Text gehört.«
    Sie starrte auf das kleine Kreuz an der Perlenkette. Es war aus schwarzem Stein geschnitten, der sich unter ihren Fingerspitzen

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