Madonna
Branntwein, offenbar ziemlich starkes Zeug. Genau das, was er jetzt brauchte. Er goss sich etwasdavon in einen der Becher und trank ihn leer. Erst dann füllte er den anderen Becher für Arnulf.
»Danke.« Spöttisch lag der Blick des Nachtraben auf ihm. »Sag nicht, dein Magen ist empfindlich geworden in dem vergangenen Jahr!«
Richard starrte Arnulf finster an. »Die Zeiten ändern sich eben!«, sagte er grimmig.
»Ja«, meinte der Nachtrabe und ließ seinen Blick von Rotgerbers Leiche zu der auf der Pritsche wandern. »Das tun sie. Nur gemordet wird immer.«
Es war ein seltsam nachdenklicher Satz für ihn. Richard trank einen weiteren Schluck Branntwein, dann stellte er seinen Becher auf die Bank zurück. »Was nun?«
Arnulf schaute nachdenklich zwischen den beiden Leichen hin und her. »Fällt dir was auf?«, fragte er.
Richard sah genauer hin. Rotgerbers Kehle war mit großer Wucht durchtrennt worden. Richard konnte in der klaffenden Wunde die Halswirbel weißlich schimmern sehen. Bei der Leiche des unbekannten Mannes hingegen wirkte der Schnitt weniger präzise und auch weniger kraftvoll. »Meinst du, der Täter musste erst üben?«
Arnulf schüttelte den Kopf. »Sieht für mich eher so aus, als hätte er den Kerl nicht richtig erwischt. Hilf mir mal!« Er zerschnitt auch die restlichen Seile und schlug das Leintuch des Fremden vollständig zurück. Nun kam auch der Umhang zum Vorschein. Er war aus dunklem, schwerem Samt. Etwas rutschte aus seinen Falten und fiel mit einem metallischen Klappern zu Boden.
Arnulf bückte sich danach.
Es war ein Dolch. Eine kleine Waffe, ein Zierdolch, wie sie ein Patrizier am Gürtel zu tragen pflegte, um seinen Stand als freier Mann zu demonstrieren. Die beiden Schneiden waren wellig geschliffen, so dass sich das Licht der Talglampen funkelnd in ihnen brach.
»Schau mal!« Arnulf winkte Richard näher.
Der besah sich die kleine Waffe. Eine der beiden Schneiden war blutig. Richard schätzte die Tiefe der Halswunde ab, dann die Breite des Blutrandes auf der Klinge. »Das ist nicht die Mordwaffe«, befand er. »Die Wunde ist viel zu tief dazu.«
»Hm.« Arnulf schob einige Falten des weißen Hemdes zur Seiteund brachte den Gürtel der Leiche zum Vorschein. Eine metallverzierte Scheide hing daran. Sie passte von der Größe her genau zu dem kleinen Dolch. »Das ist die Waffe des Opfers«, sagte Arnulf.
Richard nickte. »Was bedeutet, dass der Mann seinen Mörder womöglich verletzt hat.«
Arnulf wiegte nachdenklich den Kopf. »Nützt uns das was?«, fragte er.
»Nur, wenn wir jeden Nürnberger Bürger darum bitten, sich auszuziehen.«
Arnulf grinste. »Bei einigen Frauen wäre das durchaus erwägenswert!«
Richard ertappte sich dabei, dass ihm Katharina in den Sinn kam. Er nahm Arnulf den Dolch aus der Hand und betrachtete ihn genauer. »Ziehst du allen Ernstes in Betracht, dass der Mörder eine Frau sein könnte?«
»Wäre nicht das erste Mal«, murmelte Arnulf. Dann hieb er völlig unvermittelt mit der Faust gegen die Wand der Zelle. »Zum Henker! Das alles hier bringt uns keinen Schritt weiter!« Er schlug die zerschnittenen Zipfel des Leintuches wieder über die Leiche des Fremden. Dann sah er Richard an. »Könntest du irgendwie herausfinden, ob Rotgerber wirklich vergiftet wurde?«
Richard wusste, worauf diese Frage eigentlich abzielte. Früher hatte er Menschen seziert. Seine Fähigkeit, die Toten zu lesen, hatte ihnen schon einmal geholfen, einen Mörder dingfest zu machen. Jetzt jedoch zuckte er die Achseln. »Gift zu finden ist durch eine Sectio fast unmöglich. Wenn er Glasscherben gegessen hätte oder Nägel, dann ja. Aber Gift?« Er schüttelte den Kopf. »Ich wüsste nicht, wie man das bei einer Sectio feststellen sollte.« Kurz verschwamm sein Blick. Er blinzelte. »Wir sollten lieber versuchen, herauszufinden, ob in Niklas’ Wein Gift ist. Das halte ich für vielversprechender. Ich habe Jonas mit den beiden Krügen zu Hartmann Schedel geschickt.«
Arnulf schwieg einen Moment. »Gut. Eigentlich hatte ich vor, damit zu Öllinger zu gehen, aber ja. Schedel ist Medicus. Er kann uns damit vielleicht auch weiterhelfen.« Er nahm Richard den Dolch wieder ab und betrachtete ihn. »Dieser Fremde hat seinen Mörder verletzt«, murmelte er. »Wie?« Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen. Er drehte sich so, dass er Richard den Rücken zuwendete. »Ichbin das Opfer. Wenn du mir die Kehle aufschneiden wolltest, wie es bei den beiden hier passiert ist, geht das
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