Madonna
ertönte eine Glocke und schlug die vorletzte Stunde gen Mitternacht.
21. Kapitel
Nachdem Katharina und Donatus Tobias in Heilig-Geist nicht angetroffen hatten, liefen sie eine ganze Weile gemeinsam durch die Straßen und Gassen der Stadt, befragten Menschen und riefen in unzähligen dunklen Winkeln und Gassen nach dem Jungen. Vergeblich. Ungefähr eine Stunde gen Mitternacht sah Katharina dann in der »Krummen Diele« nach, in der Hoffnung, Arnulf hier anzutreffen und ihn um Hilfe bitten zu können. Sie konnte Donatus ansehen, dass er diesen Schritt nicht im mindesten guthieß, aber er folgte ihr, und das rechnete sie ihm hoch an. Der Wirt schüttelte bedauernd den Kopf und meinte, der Nachtrabe sei zwar den ganzen Abend über hier gewesen – mit Richard Sterner übrigens! –, aber es habe offenbar Streit gegeben. Danach seien beide Männer verschwunden, ohne zu sagen, wohin sie wollten.
Nach dieser niederschmetternden Aussage trat Katharina wieder auf die Gasse vor dem Wirtshaus. Ihre Augen brannten. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt von den Ereignissen dieses Tages, und am liebsten hätte sie sich in eine Ecke verkrochen. Stattdessen sah sie Donatus an. »Was jetzt?« Ihre Stimme klang fremd in ihren eigenen Ohren.
»Geh nach Hause!«, riet Donatus ihr. »Du siehst völlig erschöpft aus!«
Katharina wollte abwehrend den Kopf schütteln, aber nicht einmal dazu reichte ihre Kraft noch. »Und du?«, brachte sie hervor.
»Ich gehe noch einmal zu Öllinger, vielleicht ist Tobias in der Zwischenzeit dort aufgetaucht.« Er musste sich mit Gewalt an diese Möglichkeit klammern, das sah Katharina ihm an. Hinten in seinem Kopf spukte vermutlich die ganze Zeit ein bestimmtes Szenario herum. Tobias – tot in einem Fluss treibend.
Sie schluckte. Sie wollte etwas Tröstliches sagen, doch sie wusste einfach nicht, was. Also nickte sie nur. »Wenn er dort nicht ist«, murmelte sie, »komm gleichfalls nach Hause, versprich mir das!«
Er versprach es. Dann brachte er sie bis an die Ecke der Gasse an der Frauentormauer, und dort trennten sie sich. Als Katharina das Fischerhaus betrat, hatten die Türmer von St. Sebald und vom Weißen Turm gerade Mitternacht geläutet.
Völlig ermattet ließ sich Katharina in der angenehm warmen Küche auf die Bank fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Hiltrud, die auf sie gewartet und dabei das Feuer im Herd gehütet hatte, stellte ihr einen Becher mit Kräutersud hin. Dann setzte sie sich Katharina gegenüber, warf ihr einen mitleidigen Blick zu. »Er kommt schon wieder!«, meinte sie und tätschelte Katharina die Hand wie eine Mutter ihrem verzweifelten Kind.
Katharina hob den Kopf. In diesem Moment fiel ihr ein, dass sie Hiltrud versprochen hatte, sich am Nachmittag mit ihr und den anderen Frauen zu treffen und über die tägliche Messe zu reden. »Unser Treffen«, murmelte sie. »Entschuldige, das habe ich ganz vergessen.«
Hiltrud winkte ab.
Dankbar lächelte Katharina ihr zu. Dann senkte sie seufzend den Kopf wieder in ihre Hände. Ihre Haare, die sich längst aus ihrer Frisur gelöst hatten und ihr wirr um Stirn und Wangen hingen, rutschten nach vorn und verbargen sie so vor dem Rest der Welt. Ihr war es recht. Sie fühlte sich elend und zerschlagen, kalt und einfach unendlich müde. Und sie ertappte sich dabei, dass sie an Richard dachte. Wenn er jetzt doch nur hier wäre …
Entsetzt über sich selbst schloss sie die Augen. Wie konnte sie nur in diesem Moment an Richard denken? Sie spürte, wie sich ihr Magen umdrehte vor lauter Selbstekel, und sie kämpfte gegen den Drang an, den Kopf einfach auf die Tischplatte sinken zu lassen.
Tränen der Erschöpfung schossen ihr in die Augen.
»Kind, Kind!«, rügte Hiltrud. »Wie gewöhnen wir es dir nur ab, dich für alles und jeden verantwortlich zu fühlen?« Katharina antwortete nicht darauf, und so fuhr Hiltrud fort: »Die Last der ganzen Welt ist zu schwer für deine Schultern, Katharina!«
Katharina legte die Hände um den Becher und genoss die Wärme, die in ihre klammen Finger kroch. Sie war versucht, etwas zu sagen, aber dann schwieg sie. Wie sollte sie es auch in Worte fassen, was sie empfand? Was für Erklärungen gab es dafür, dass sie glaubte, denDämon in ihrem Innersten nur im Zaum halten zu können, indem sie all ihre Kraft auf gute Taten richtete?
»Katharina, ich denke …«, begann Hiltrud nach einer kurzen Pause erneut, doch Katharina schüttelte den Kopf. »Nicht!« Was auch immer Hiltrud zu
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