Madonna
retten wollten, brauchten sie ein Wunder.
Während Richard all diese Gedanken durch den Kopf gingen, saher, wie jemand zum Karren trat. Es war Donatus, Katharinas Bader. »Tobias!«, hörte Richard ihn rufen. »Du musst mit mir reden! Weißt du, wer es war?«
Offenbar antwortete Tobias ihm, doch der Karren war schon zu weit entfernt, und der Junge sprach zu leise, als dass Richard ihn verstanden hätte. Kurz hatte Richard den Eindruck, als würde der Junge pfeifen, doch der Karren erreichte eine Biegung und entschwand seinen Blicken. Donatus, der wie vom Donner gerührt stehengeblieben war, sank auf einem Brunnenrand nieder.
»He!«, grummelte jemand hinter Richard. »Ihr haltet den gesamten Zug auf!«
Er wandte sich um. Vor ihm stand ein Büttel. Richard kannte ihn von früher, aber ihm wollte sein Namen nicht einfallen.
Donatus hatte sich nicht gerührt. Katharina wollte zu ihm gehen, doch bevor sie ihn erreicht hatte, sprang er auf und rannte davon. Verwirrt schaute Katharina ihm nach.
Richard hingegen wandte sich an den Büttel. »Wie lautet das Urteil?«, fragte er den Mann.
»Tod durch das Schwert«, bekam er zur Antwort. »Fragt mich nicht, warum man einem solchen Kerl diese Gnade erweist, wahrscheinlich, weil er Scholar war. Pfaffen bekommen ja immer eine Sonderbehandlung!« Der Büttel ärgerte sich sichtlich über diese Tatsache.
Richard spürte, wie sich eine Hand in die seine schob. Katharina klammerte sich an ihn, und er zog sie in seinen Arm. Er hielt sie noch, als der Zug schließlich den Richtplatz erreichte.
Der Rabenstein genannte Richtplatz bestand aus einem gemauerten Podest von sieben mal sieben Schritt Länge, zu dem eine breite Treppe hinaufführte. Den alten Galgen, der noch vor Jahresfrist hier gestanden hatte, hatte man abgerissen und durch einen neuen ersetzt, der auf drei oberschenkeldicken Balken ruhte. Ein einsames Seil hing daran und baumelte leicht im Wind. An seinem ausgefransten Ende war zu erkennen, dass man den Menschen, der hier hingerichtet worden war, mit einem Messer abgeschnitten hatte. Katharinas Blick wanderte über den ebenfalls gemauerten Brunnen hinweg zu einem welligen Acker, auf dem man die Toten verscharrte. Ein frischer Grabhügel erhob sich an seinem Rande, eine einzelne Krähe hockte darauf undstarrte die Gesellschaft von Schaulustigen an, die sich nun an ihrem Lieblingsplatz versammelte.
Gewöhnlich waren Hinrichtungen Ereignisse von Bedeutung, und stets liefen viele Menschen dem Henkerskarren nach, wenn er durch die Stadt rollte. Heute jedoch war die Menge der Gaffer kleiner als sonst, denn Tobias’ Hinrichtung war in solcher Eile beschlossen worden, dass keine Zeit für lange Ankündigungen gewesen war. Folglich fanden nur jene den Weg zum Rabenstein, die dem Henkerskarren zufällig begegneten und sich ihm anschlossen. In Katharinas Augen waren es mehr als genug.
Ein paar Spielleute waren darunter, einer von ihnen ein wahrer Hüne, ferner Bürgersfrauen und Männer in Patrizierkleidung. Ein Mönch in der Kutte der Dominikaner fiel ihr auf, weil er sich abseits hielt. Einige Kinder turnten auf einem der Fuhrwerke herum, die den Schaulustigen als Tribüne dienen sollten. Sie spielten Fangen und lachten dabei fröhlich.
Tobias’ Blick ruhte auf ihnen, und ein Lächeln glitt über seine Lippen. Es verschwand auch nicht, als zwei der Büttel nun den Karren erklommen, ihn losbanden und ihm halfen, zu Boden zu springen. Die Büttel führten ihn die Treppe zum Rabenstein hinauf, wo sich in der Zwischenzeit der Henker, der Stadtrichter und einige weitere Männer des Stadtrates versammelt hatten. In der Mitte der Plattform blieben sie stehen.
Der Stadtrichter ließ sich ein Pergament geben und entrollte es. Seine Stimme schallte weithin über den Richtplatz, als er begann, aufzulisten, was dem zum Tode Verurteilten vorgeworfen wurde. »Wir sind hier zusammengekommen, um den Frieden in unserer Stadt wiederherzustellen, indem wir diesen Mann, Tobias Weinmann, Scholar am Heilig-Geist-Spital, der göttlichen Gerechtigkeit zuführen. Dies geschieht aus dem folgenden Grund. Erstens: zur Sühne des feigen Mordes an dem Spitalmeister Konrad Rotgerber, den dieser Mann hinterrücks und heimtückisch mit dem Dolch vom Leben zum Tode befördert hat, was das Gericht als eindeutig erwiesen ansieht, da der Verurteilte es gestanden hat. Zweitens: zur Sühne des ebenfalls feigen Mordes an der Marktfrau Gertrud, die dieser Mann hinterrücks und heimtückisch ebenfalls mit dem
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