Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
führten. Tobias. Er hatte den Kopf hoch erhoben. Seine Hände waren ihm vor dem Leib gefesselt. Blass war er.
    »Gott im Himmel!«, hörte Katharina eine entsetzte Stimme sagen, und sie bemerkte erst anschließend, dass es ihre eigene war.
    Die Büttel führten Tobias zu einem Karren, der ihn zum Richtplatz auf dem Rabenstein fahren würde. Aus eigener Kraft erklomm er ihn, wartete breitbeinig, dass die Büttel ihn am Querholm festbanden. DerPriester trat neben ihn, hob seine Hand und machte ein Kreuzzeichen. Seine Lippen bewegten sich lautlos.
    Über die Menge hinweg entdeckte Tobias Katharina. Seine Augen weiteten sich, dann lächelte er sie an.
    Katharina schossen Tränen empor. Ohne zu überlegen, ob es klug war, drängte sie sich durch die langsam größer werdende Menge der Schaulustigen hindurch zum Karren. Die beiden Büttel sahen sie, starrten sie finster an, aber sie hinderten sie nicht daran, an die hölzernen Streben der Ladefläche zu treten. Der Priester hatte soeben sein Gebet beendet und trat zurück. Sein Blick streifte Katharina, er war ein hagerer, finsterer Kerl, und sie erkannte ihn wieder. Vor einigen Jahren hatte sie bei ihm einmal die Beichte abgelegt, und er hatte ihr die Absolution verweigert. Sie sah an ihm vorbei.
    »Tobias!«, sagte sie mit erstickter Stimme.
    Er wandte ihr den Kopf zu. Sie hatte befürchtet, dass man ihn gefoltert hatte, um an ein Geständnis zu gelangen, aber so war es nicht. Im Gegenteil: Er schien völlig unversehrt. In seinem Blick lag etwas Ruhiges, Abgeklärtes. Auf einmal wirkte er ganz anders als der verschreckte Junge, den Öllinger – war es wirklich erst vorgestern gewesen? – zu ihr gebracht hatte. Zweifel überkamen sie. Konnte er doch …
    »Ich bin hier, um dir zu helfen«, sagte sie rasch, um den Bedenken nicht zu viel Raum zu geben. »Donatus kommt auch gleich. Wir reden mit dem Richter und bürgen für dich, damit du frei …«
    »Nein!«, widersprach er ihr. Seine Stimme war so fest wie sein Blick.
    Sie schluckte schwer. »Warum nicht?« Die Zweifel gruben sich tiefer in ihren Verstand. Er? Der Mörder?
    »Weil ich es war«, gab er leise zurück.
    Es war ihr unmöglich, dies zu glauben. Er log! Die Zweifel an ihm waren übergangslos verschwunden, machten der Gewissheit Platz, dass er log. Doch warum? »Warum, Tobias?«, flüsterte sie.
    Er antwortete nicht. Stattdessen sagte er: »Geh nach Hause! Bitte. Es ist gefährlich …«
    Der laut ausgerufene Befehl des Stadtrichters, zum Rabenstein abzufahren, übertönte den Rest seiner Worte. Gabriel Dengler schwang sich auf den Bock des Karrens, griff nach einer Peitsche und ließ sie durch die Luft knallen. Mit aller Kraft zog der schwarze Ochse an, undein harter Ruck ging durch den Karren, als er sich in Bewegung setzte. Tobias musste die Beine spreizen, um nicht zu stürzen.
    Fieberhaft sah Katharina sich um. Wo blieb nur Donatus? »Tobias!«, flehte sie. »Rede mit mir!«
    Er blickte auf die Büttel in der Nähe des Karrens. »Ich bin der Mörder.«
    »Wen schützt du?«, schrie sie. Es war die einzige Erklärung für sein Benehmen, oder? Sie musste laufen, um mit dem Karren Schritt zu halten. Mit einer Hand klammerte sie sich an den Streben fest.
    Tobias schwieg.
    »Sie werden dich töten, Herrgott!«
    Mit einem Lächeln, das ihr eine Gänsehaut bereitete, sah er sie an. »Ich weiß.« Und in diesem Augenblick war er ihr so unendlich fremd, dass sie den Karren losließ und stehen blieb. Sie kannte ihn erst zwei Tage. Was machte sie so sicher, dass er wirklich unschuldig war? Schließlich wusste sie aus eigener Erfahrung, dass sich mörderische Absichten hinter freundlichen Fassaden verbergen ließen. Sie hatte es mehr als einmal miterlebt, wie Menschen, denen sie vertraut hatte, sich als skrupellose Mörder entpuppt hatten.
    Wieder sah sie sich nach Donatus um, konnte ihn aber noch immer nirgends entdecken.
    Sie beschloss, einen letzten Versuch zu unternehmen, mit Tobias zu reden. Mit langen Schritten holte sie den Karren ein. »Warum willst du sterben?«, fragte sie geradeheraus.
    Und plötzlich, als sei in seinem Innersten ein Damm gebrochen, rann alle Ruhe, alle Zuversicht aus ihm heraus. Seine Schultern sackten nach vorn. Sein Kinn begann zu zittern. »Sie glauben mir sowieso nicht!« Er hob den Blick und sah sie an. Sie hatte nicht das Gefühl, dass er von den Morden sprach, doch sie hätte nicht zu sagen vermocht, woher sie das wusste.
    »Was, Tobias?«, rief sie aus. »Was glauben sie dir

Weitere Kostenlose Bücher