Madonna
ihnen zu, als er sie passierte. Eine Gruppe Gänse, die offenbar aus ihren Ställen entwischt war, marschierte quer über den Weg. Ein kleiner Junge jagte ihnen fluchend hinterher, aber alles, was er erreichte, war, dass sie mit wütendem Geschnatter und wildem Flügelschlag auseinanderstoben und in den umliegenden Gassen verschwanden.
»Was meintest du eben mit Nein ?«, fragte Katharina Donatus, als sie ihn eingeholt hatte.
»Tja!« Er drehte den Blick gen Himmel. Dann fragte er: »Das Fischerhaus. Es hat einmal deinem Mann gehört, oder?«
Katharina war verwirrt. Er wusste das, warum fragte er ausgerechnet jetzt danach? Dennoch nickte sie. »Er hat es gekauft, kurz bevor er starb.«
»Und du hast es zu einem Spital für mittellose Frauen umgewandelt, ganz ähnlich wie Heilig-Geist, nur kleiner, oder?«
Bei der Nennung des Spitals unten am Fluss geisterte kurz Arnulfs Warnung vor Konrad Rotgerber durch Katharinas Gedanken. Donatus hatte nicht ganz unrecht. Ein wenig ähnelte die Institution, die sie mit Egberts Geld gegründet hatte, dem Heilig-Geist-Spital. Doch während man sich dort vor allem um Fieberkranke und Verletzte kümmerte und die Behandlung von Menschen mit krankem Gemüt eher widerwillig vornahm, hatte Katharina das Fischerhaus zu einer Zuflucht für genau diese Art von Kranken gemacht. Keiner ihrer Schützlinge – allesamt waren es Frauen – war wohlhabend oder gehörte gar zu den Patrizierfamilien, aber das scherte sie nicht. Sie nutzte den Reichtum, den ihr Mann ihr hinterlassen hatte, um das zu tun, was sie am besten konnte und was sie als Einziges auf der Welt wirklich tun wollte.
Die melancholia heilen.
Und wo sie das nicht vermochte, wollte sie sie zumindest lindern.
»Warum tust du das?«, fragte Donatus mitten in ihre Gedanken. »Ich meine: Es macht doch nur Schwierigkeiten. Du hast vorhin selbst gehört, was dieser komische Nachtrabe gesagt hat. Es gibt Männer, die du mit dem Fischerhaus gegen dich aufbringst. Mächtige Männer. Und trotzdem nimmst du Kerle wie mich auf.« Er hielt kurz inne, und sie glaubte schon, er würde ihr jetzt seine eigene Geschichte erzählen. Doch stattdessen fragte er: »Warum tust du dir das an?« Und er gab sich die Antwort sogleich selbst: »Weil du eine Heilige bist, keine Hexe. Das meinte ich vorhin mit Nein.« Er grinste und strich sich mit einer seiner weiblichen Gesten durch die kurzen Stoppelhaare.
Der kleine Gänsehirt hatte in der Zwischenzeit wenigstens eines seiner Tiere erwischt und am Hals gepackt. Die Gans wehrte sich mit wütendem Gekeife und wildem Flügelschlagen, aber der Junge gab nicht nach. Mit grimmiger Entschlossenheit zog er den widerstrebenden Vogel die Gasse entlang Richtung Zuhause. Als er an ihr vorbeikam, nickte Katharina ihm anerkennend zu, aber er bemerkte es kaum.
8. Kapitel
»Wie geht es ihr?«
Die Tür der kleinen Dachkammer öffnete sich, und Donatus streckte den Bürstenschopf herein.
Katharina ließ die Hand der alten Frau los, an deren Bett sie seit zwei Stunden saß. Sie wandte sich zu ihrem Bader um. »Schlecht«, sagte sie und forschte in Donatus’ Gesicht nach Anzeichen dafür, ob er vorhatte, ihr Gespräch fortzusetzen. Zu ihrer Erleichterung jedoch schien er vorerst genug zu haben von weiteren Enthüllungen.
Sie holte tief Luft. Obwohl sie das Fenster so weit geöffnet hatte, wie es ging, roch es in der Kammer noch immer übel nach Fäkalien.
Nachdem sie zusammen mit Donatus vom Markt zurückgekommen war, hatte sie als Erstes nach Tobias gesehen. Wie sie vermutet hatte, hatte er seine Tür mit seinem Stuhl verbarrikadiert. Als sie geklopft hatte, hatte er zuerst nicht reagiert und dann etwas gemurmelt, das recht verschlafen geklungen hatte. Also hatte sie ihn in Ruhe gelassen und sich darangemacht, Brunhilds Durchfallmedizin mit dem frischen Rindfleisch zuzubereiten und es ihr zu essen zu geben. Eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde die alte Frau es tatsächlich bei sich behalten, doch als sie sich dann übergeben hatte, war es explosionsartig geschehen. Katharina hatte eine Weile gebraucht, um Bettzeug, Wände und Fußboden wieder zu säubern.
Jetzt winkte sie Donatus herein und wies auf Brunhild. Die ältere Frau lag auf dem Rücken, eine Decke bis unter die Achseln gezogen, ihre Hände ruhten obenauf. Eingefallen waren sie, deutlich konnte man die Adern unter der papierdünnen Haut sehen, ebenso wie ihr Gesicht kaum mehr zu sein schien als ein pergamentüberzogener Schädel, an dem die
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