Madonna
Arm.
»Komm«, sagte er leise, bevor sie wieder das Wort ergreifen konnte. »Lass uns nach Hause gehen!«
Katharinas Zorn fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Zitternd holte sie Luft, rang um Selbstbeherrschung. »Ja«, sagte sie dann kühl und musterte Gertrud aus zusammengekniffenen Augen. »Lass uns gehen. Wir müssen uns wohl eine neue Eierlieferantin suchen.« Und mit diesen Worten machte sie kehrt und wollte davonmarschieren. Sie konnte nicht sehen, ob Gertrud ihr wütend hinterherstarrte, aber sie hörte, was die Frau giftete: »Unverheiratetes Weiberpack! Weiß doch jeder, dass Euer ganzes Trachten darauf ausgerichtet ist, die Mannswelt zu verderben!«
Katharina blieb stehen wie vom Donner gerührt. Eine Dienstmagd kam an ihr vorbei, blieb vor Gertruds Eierkorb stehen, um die Ware zu prüfen.
»Lass lieber die Finger davon!«, riet Katharina ihr. »Ihre Eier sind verdorben.«
Sie verspürte Gewissensbisse, weil sie ihrer Rachsucht freien Lauf gelassen und nicht den Mund gehalten hatte, und dummerweise bereiteteihr die Tatsache, dass die Magd sich tatsächlich einem anderen Stand zuwandte, nicht die geringste Genugtuung. Mit einem Ruck wandte sie sich ab und verließ mit weit ausgreifenden Schritten den Refmarkt.
Gertruds böse Blicke trafen sie wie Dolche im Rücken.
»Weißt du, was ich mich gerade frage?« Donatus ging neben Katharina her an der langen Front des Kartäuserklosters vorbei. Seit dem Zusammenstoß mit der Marktfrau war er still gewesen, aber Katharina wusste, dass es in ihm brodelte. Jetzt schienen die Gedanken aus ihm herausbrechen zu wollen.
»Nein«, sagte sie. »Was denn?«
»Das, was Gertrud gesagt hat …« Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf.
Katharina wartete.
»Ich meine, das mit der Hexerei …« Wieder verklang die eigentliche Frage in einem Räuspern.
Katharina schwieg. Wenn er dieses Gespräch führen wollte, dann sollte er gefälligst den Mumm haben, sie direkt darauf anzusprechen, und hier nicht herumeiern wie ein Dorftrottel.
»Stimmt es?«, stieß er endlich hervor.
Ein bitteres Lächeln trieb Katharinas Mundwinkel nach oben. »Was? Dass sie mich der Hexerei bezichtigt haben?«
Unglücklich nickte er.
An der Ecke des Klosters blieb sie stehen. »Ja«, sagte sie.
Er schluckte, und sie hätte ein Vermögen dafür gegeben, zu erfahren, was er dachte.
»Wurdest du verurteilt?«, fragte er endlich. Seine Blicke wanderten über ihr Gesicht, als suche er nach Brandzeichen, der üblichen Strafe des Nürnberger Rates für das Verbrechen der Zauberei. Schließlich schaute er auf ihre Hände.
Katharina zog die Ärmel über die Narben an ihren Handgelenken. »Nein«, antwortete sie. Plötzlich war ihr kalt, viel kälter als zuvor, als die Sonne noch nicht aufgegangen war und der Frost eisig auf dem Pflaster gelegen hatte.
»Warum nicht?«
»Es ist lange her.« Sie tat, als wüsste sie nicht mehr genau, wie lange,dabei wusste sie es nur allzu gut. Dann fasste sie einen Entschluss. »Kannst du dich an den großen Wahnsinn erinnern, der im August vor zwei Jahren über die Stadt gekommen ist?«, fragte sie.
Donatus lehnte einen Arm gegen die Klostermauer. »Du meinst damals, als die Engel in Nürnbergs Gassen starben?«
Die Kälte, die Katharinas Glieder ergriffen hatte, packte nun auch ihr Herz. Um ihr nicht zu erliegen, schüttelte Katharina den Kopf. »Es waren keine Engel. Nur arme Menschen, die ein Wahnsinniger umgebracht hat. Zum Glück wurde er seiner gerechten Strafe zugeführt. Aber was ich dir eigentlich erzählen wollte: Damals waren die Brunnen der Stadt vergiftet, und das führte dazu, dass die Menschen Dinge sahen, die gar nicht da waren. Aus diesem Grund glaubten sie, dass Hexen in der Stadt ihr Unwesen trieben.«
»Hexen …« Donatus flüsterte das Wort. Forschend sah er Katharina an. »Wieso wurdest du nicht verurteilt?«, fragte er zum zweiten Mal.
»Es wurde nachgewiesen, dass ich unschuldig bin.«
»Wie?«
»Sie haben mich auf die Probe gestellt. Und ich habe diese Probe bestanden.« Sie verdrängte die Erinnerung an dunkles Wasser, an die Panik in ihrem Herzen, als sie beinahe ertrunken wäre. Und noch energischer verdrängte sie die Gedanken an Richard, der sie damals gerettet hatte.
Einen Moment lang stand Donatus völlig regungslos da. Dann schüttelte er mit Nachdruck den Kopf. »Nein«, sagte er zusammenhanglos. Und setzte seinen Weg einfach fort.
Katharina eilte ihm nach. Ein Mönch trat aus einem Tor des Klosters. Er nickte
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