Madonna
schütteren, schneeweißen Haare klebten. Brunhild hatte die Augen geschlossen, aber Katharina wusste, dass sie nicht schlief. Sie hörte jedes Wort, das in ihrer kleinen Kammergesprochen wurde. »Die Medizin hat nicht gewirkt.« Mehr zu sagen war nicht nötig. Katharina wusste, dass Donatus sie trotzdem verstand.
Er sah sie an und nickte betrübt.
Sie wird sterben, war der Satz, den sie beide nicht aussprachen.
»Ihr müsst euch nicht grämen!« Die faltigen Lider der alten Frau hoben sich, und aus überraschend klaren, hellblauen Augen sah sie Katharina an. »Ich bin bereit, meinem Schöpfer gegenüberzutreten.«
Katharina spürte einen Kloß in der Kehle. Es war unerträglich für sie, dass sie Brunhild nicht helfen konnte.
»Es ist schwer, dich so leiden zu sehen«, sagte sie leise.
Brunhild versuchte sich an einem Lachen, aber es misslang. Sie war längst zu schwach dazu. »Das Leiden ist eine Gnade Gottes«, flüsterte sie. »Es bringt mich meinem Herrn Jesus Christus näher.« Sie schloss die Augen wieder. »Bald werde ich mit ihm im Paradies sein.«
Donatus kratzte seine blonden Stoppeln, und Katharina fiel auf, dass er das in letzter Zeit wieder häufiger tat. War es nur ein Zeichen seines Unbehagens? Der Ausschlag, mit dem er bei ihr aufgetaucht war, war nicht wieder zurückgekommen, dafür hatte sie gesorgt. Vielleicht jedoch hatte er sich Flöhe eingefangen. Zwar hatte sie ihn ursprünglich als Bader angestellt, aber er beschränkte sich zu ihrer Freude nicht auf diese Arbeit, sondern half aus, wo immer er konnte. Eine der Aufgaben, die er freiwillig übernommen hatte, war die Ausgabe der wöchentlichen Armenspeisung, die Katharina eingeführt hatte. Jeden Freitag zum Mittagsläuten stellte er sich mit einem Kessel Suppe und Brot vor dem Haus auf und verteilte warme Mahlzeiten an die Ärmsten der Armen. Dass er dabei mit jeder Menge Ungeziefer in Kontakt kam, nahm er mit resignierter Gelassenheit in Kauf.
Seufzend machte Katharina sich im Geiste eine Notiz. Sie würde Donatus etwas gegen die Flöhe geben müssen. Noch eine Sache, an die sie denken musste.
Sie spürte, wie Müdigkeit nach ihr griff, und sie wusste nicht genau, ob es die Müdigkeit von zu viel Arbeit war oder aber jene, die die melancholia verursachte und gegen die anzukämpfen so unendlich viel schwerer war.
»Es ist schön, dass du dein Los so vertrauensvoll annehmen kannst«, sagte sie zu Brunhild. Sie selbst hatte Mühe, die Krankheiten und alldas Elend, mit dem sie tagtäglich konfrontiert wurde, als Gabe eines mildtätigen Gottes anzusehen.
»Warum sollte ich nicht?«, gab Brunhild zurück, ohne die Augen zu öffnen. »Immerhin habe ich mein Bestes getan, mich mein ganzes Leben lang an seine Gebote zu halten.«
Fast hätte Katharina spöttisch geschnaubt. Gerade noch rechtzeitig unterdrückte sie das Geräusch, und es klang, als habe sie niesen müssen.
Brunhild öffnete die Augen wieder. In ihnen lag ein belustigter Ausdruck. »Du scheinst das anders zu sehen.«
Inzwischen war es empfindlich kalt in der kleinen Kammer. Katharina sah Donatus zu, wie er zum Fenster ging und es schloss. Er zog den Vorhang halb zu, doch Katharina schüttelte missbilligend den Kopf. Seit längerem schon versuchte sie, ihn von der irrigen Meinung abzubringen, dass Kranke im Dunkeln liegen müssten. Er schaute Katharina an, begriff, was sie dachte, und zog den Vorhang wieder auf. Dann gesellte er sich zu ihr ans Bett und beteiligte sich an ihrem Gespräch.
»Und?«, fragte er, und sie spürte das Gewicht seines Blickes auf sich. »Siehst du es wirklich anders?«
Sie zwang sich zu einem unverfänglichen Lächeln. »Versteh mich nicht falsch«, meinte sie. »Ich glaube, dass die gute Brunhild ein wenig untertreibt.«
»Inwiefern?« Neugierig sah Donatus auf die verhärmt wirkende Frau hinab.
Brunhild zuckte nur die Achseln. Ihre Schlüsselbeine zeichneten sich unter der blassen Haut ab wie die Knochen eines Vogels.
»Sie hat nach dem frühen Tod ihres Mannes nie wieder geheiratet«, erklärte Katharina. »Sie hat ein beträchtliches Vermögen geerbt und ihren Bruder dazu gebracht, dass sie es für mildtätige Zwecke verwenden darf. Ihr gesamtes Leben seitdem hat sie gelebt wie eine Nonne, nur, dass sie sich nicht in die Stille und Abgeschiedenheit eines Klosters zurückgezogen hat, sondern mitten in der Welt blieb, um gute Werke zu tun.«
Brunhild kicherte leise. »Du übertreibst«, widersprach sie mit milder Rüge in der Stimme.
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