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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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als dass es ihn amüsierte. Den ganzen Tag lang war er schon von dieser inneren Unruhe erfüllt gewesen, deren Ursprung er sich nicht erklären konnte und deren Auswirkungen ihn übellaunig und übervorsichtig machten. Etwas ging vor in seiner Stadt, das spürte er mit der einem Nachtraben eigenen Hellsichtigkeit. Es war, als bewege sich ein Raubtier durch die engen Gassen des Spittlertorviertels, ein Raubtier, das früher nicht da gewesen war.
    Angespannt umrundete Arnulf eine Hausecke und trat von der breiteren Gasse in den Schatten eines schmalen Durchlasses, in dem es nach Fäkalien roch. Beiläufig nur achtete er darauf, dass seine hohen Lederstiefel so wenig wie möglich mit dem Unrat in der Gosse in Berührung kamen, und ebenso beiläufig duckte er seinen langen Körper unter einem Balken hindurch, der aus einer der windschiefen Fassaden hervorragte.
    Die Gasse endete im Schatten der Stadtmauer auf einer Fläche, die von weiteren windschiefen Hütten umstellt war und wie ein abseitiger, geheimer Marktplatz wirkte. Mehrere Stände waren hier aufgebaut, ganz ähnlich wie auf dem Großen Markt an der Frauenkirche, wo die wohlhabenderen Bürger Nürnbergs einkauften. Im Gegensatz zu jenem Ort jedoch wirkte hier nichts wohlhabend oder gepflegt. Arnulfs Blick glitt über Frauen in grauen Kleidern, deren Haare verfilzt und zerzaust in verwitterte, ausgemergelte Gesichter hingen. Er sah kleine Kinder, Jungen zumeist, die barfuß durch den Schmutz rannten, immer auf der Suche nach einer mildtätigen Hand, die ihnen eine Münze zu geben bereit war, oder auf der Lauer nach einer unbewachtenGeldbörse, die sich mit einer schnellen Klinge vom Gürtel schneiden ließ. Und dann waren da noch die Männer, deren Mienen von den Sorgen um das tägliche Auskommen gezeichnet waren. Männer, deren Augen verschlagen blickten oder resigniert, je nach Temperament, das in ihren Adern floss. Arnulf sah Geschwüre und verrenkte Glieder, gerötete Augen, blasse, rissige Lippen, und er hörte qualvollen festsitzenden Husten ebenso wie das unregelmäßige Pochen einer Krücke auf dem feuchten Boden.
    Trotz des offensichtlichen Elends ringsherum lag über allem eine heitere Ausgelassenheit, die Schmutz und Krankheit zuzudecken schien wie der erste Schnee die kahle Erde. Arnulf hörte Frauen kichern. Aus den Augenwinkeln sah er sie die Köpfe zusammenstecken und über ihn tuscheln, sobald er sich an ihnen vorbeigedrängt hatte. Zwei Männer unterhielten sich über irgendetwas Anzügliches und lachten dröhnend. Ein Gaukler namens Harald hatte sich an einer Hausecke auf einen Leiterkarren geschwungen und gab eine Darbietung zum Besten, bei der er in rasender Geschwindigkeit mit fünf Äpfeln jonglierte. Als er einen davon mitten im Flug aus der Luft pflückte, davon abbiss und ihn wieder hochwarf, ohne dass die anderen vier zu Boden fielen, brach die kleine Menge um ihn herum in Jubelrufe aus.
    Während Arnulf der Darbietung einen Moment lang zuschaute, tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Er drehte sich um.
    Vor ihm stand ein ungefähr sechzehn- oder siebzehnjähriger junger Mann mit zerzausten Haaren, wachen Augen und einer hässlichen Kerbe im rechten Ohr, die ihn als verurteilten Betrüger auswies. An seiner Seite stand hechelnd ein massiger fuchsfarbiger Hund mit sehr langen Ohren und hängenden Lefzen.
    »Jonas!«, begrüßte Arnulf den Jungen, dann tätschelte er dem Hund den Kopf. Er musste sich dafür nicht einmal bücken. »Was gibt es, ihr zwei?«
    Jonas sah sich um, als fürchte er, unberechtigte Ohren könnten mithören. »Hast du schon gehört?«, fragte er. »In der Stadt hat es einen Mord gegeben.« Er schluckte schwer. »Einen weiteren«, fügte er bedeutungsschwer hinzu und fuhr sich mit der flachen Hand über die Kehle, um zu zeigen, wovon genau er sprach.
    Arnulf runzelte die Stirn. »Bist du sicher?« Vor etwa drei Wochen war ein Mann in einer dunklen Gasse gefunden worden, dessen Kehlebrutal aufgeschlitzt gewesen war. Einige Tage lang hatten die Stadtbüttel das Spittlertorviertel unsicher gemacht, bis sich herausgestellt hatte, dass der Tote nicht aus Nürnberg stammte. Danach war der Wunsch der Obrigkeit, diesen Mord zu sühnen, stark abgekühlt. Nach geltendem Recht war der Friede der Stadt nicht gestört, wenn Fremde starben, also musste man auch nicht allzu große Anstrengungen unternehmen, einen Schuldigen zu finden.
    Jetzt jedoch? Ein neuer Mord? Wieder eine durchgeschnittene Kehle?
    Arnulf dachte an das

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