Madonna
Katharina, dass sie ungerecht waren. Arnulf war nicht ihr Feind, im Gegenteil! Er sorgte sich um sie, auch wenn ihr nach all den Wochen und Monaten, in denen er sich unauffällig immer wieder in ihrer Nähe aufgehalten hatte, noch immer nicht ganz klar war, warum er das tat.
Er wischte das Lächeln von seinem Gesicht. »Das weiß ich«, sagte er ernst. »Und ich respektiere es auch. Es ist dein gutes Recht, Selbstzerstörung zu betreiben.«
Sie wollte einlenken, aber sie konnte es nicht. »Was soll das dann hier?« Erbost stemmte sie die Arme in die Hüften.
»Katharina!« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Es gibt keinen Grund, wütend auf mich zu sein.«
»Du bevormundest mich wie …« Schlagartig verschloss sie den Mund, denn ihr wurde bewusst, warum sie so abwehrend und wütend reagierte. »… wie Matthias«, fügte sie mit einem Flüstern hinzu.
Arnulfs Blick wurde weich. »Das tue ich nicht, und das weißt du.«
Katharina zog die Ärmel wieder über ihre Hände und schlang die Arme um den Oberkörper. Matthias, ihr Bruder. Ihr Halbbruder, genau genommen. Er hatte sich auch stets so um sie gesorgt. Er hatte sich um sie gekümmert, auch wenn sie das nicht gewollt hatte. Es hatte lange gedauert, bis sie es ihm ausgetrieben hatte, ihr Vorschriften zu machen, weil es ihm als ihrem Bruder und einzig lebenden Verwandten zustand. Es war ihr niemals völlig gelungen – bis zu seinem Tod nicht. Gott, wie sehr sie ihn vermisste! Fast so sehr wie Richard.
Sie rieb sich die Stirn. »Nein«, murmelte sie. »Entschuldige. Du hast recht.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Warum bist du dann so oft hier?« Sie erwartete keine Antwort, und darum fügte sie selbst hinzu: »Weil Richard dich darum gebeten hat, nicht wahr?«
Konnte einmal eine Stunde – eine Minute nur – vergehen, in der sie nicht an ihn dachte?
In Arnulfs Augen blitzte es auf. Langsam schüttelte er den Kopf. »Das hat er nicht.«
»Aber …«
Er unterbrach sie, indem er nach ihrer Hand griff und sie festhielt. »Aber er würde es wollen, dass ich auf dich aufpasse. Darum tue ich es.«
Katharina unterdrückte den Impuls, sich loszureißen. Zu sehr erinnerte Arnulfs Berührung sie an die von Richard eben in ihrem Traum. Sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten und heftig schüttelte sie den Kopf. Sie hatte nie verstanden, was für eine Art Freundschaft es war, die Richard mit Arnulf verband. Sie hatte nie begreifen können, wie der eine zu Ende denken konnte, was der andere begonnen hatte. Vielleicht war es etwas, das nur Männern eigen war.
Sie räusperte sich. »Ich komme allein zurecht«, sagte sie lahm. »Du musst mich nicht beschützen.« Und dabei dachte sie wieder daran, wie er sie an diesem Morgen vor Konrad Rotgerber gewarnt hatte. Unbehagen prickelte in ihrem Genick. »Gibt es etwas Neues vom Spitalmeister?«, fragte sie.
Wenn es ihn amüsierte, dass sie sich damit selbst Lügen strafte, so ließ er es sich nicht anmerken. »Nichts von Belang. Deswegen bin ich ja auch nicht hier, sondern wegen …«
»Donatus, ich weiß.«
»Mehr deinetwegen.« Er ließ jetzt endlich ihre Hand los. »Du scherst dich recht wenig um die weltliche Gewalt und ihre Vorschriften, das hast du schon mehr als einmal bewiesen.«
»Du übertreibst!« Katharina wich zurück, bis sie mit den Fersen gegen die unterste Treppenstufe prallte. Arnulf verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen das Geländer. Sie fühlte sich in die Enge getrieben, und um ihm wenigstens ein bisschen zu entkommen, ließ sie sich auf die Stufen sinken.
»Ach ja?« Er grinste. »Die reichen Bürgerinnen behandeln, obwohl der Stadtrat es dir verboten hat?«
Sie lenkte ein. Wohl wahr. Sie hatte sich damals über Recht und Gesetz hinweggesetzt, als sie das getan hatte. »Das ist lange her«, sagte sie. »Es ist vorbei.«
Ernst sah er sie an. »Und jetzt: einen sodomitischen Mann aufnehmen, der in Schimpf und Schande aus seiner früheren Stellung gejagt wurde. Wenn das nicht eine Auflehnung gegen die Mächtigen ist, dann weiß ich es nicht.«
»Er ist ein guter Bader.« Sie spürte, dass sie diese Schlacht längstverloren hatte. Arnulf hatte sie durchschaut, so gründlich, dass sie wieder einmal in Erstaunen über ihn versetzt wurde.
»Das ist nicht der Grund, warum du ihn bleiben lässt«, schnaubte er. »Und das weißt du!«
Herausfordernd reckte sie das Kinn vor. »Sondern?«
Er ließ den Kopf sinken. Seine Haare rutschten ihm vor die Augen, so dass Katharina für einen
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