Madonna
Gestalt, die das Gasthaus »Zur krummen Diele« kurz nach Einbruch der Dunkelheit betrat, sah sich so verstohlen um, dass Arnulf sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Die Gestalt war klein, und ihr Gesicht lag so tief im Schatten einer Kapuze, dass man sie für ein Kind hätte halten können, wäre da nicht die tiefe männliche Stimme gewesen, die aus den Falten des Kleidungsstücks hervordrang und Niklas, dem Wirt, einen guten Abend wünschte.
Nachdem Arnulf sich im Laufe des Abends ein wenig umgehört hatte, ob bereits Gerüchte über Rotgerbers Mörder die Runde machten, saß er nun auf seinem üblichen Platz in der hintersten Ecke der »Krummen Diele«. Von hier aus konnte er alles beobachten. Seine langen Beine hatte er entspannt ausgestreckt, doch der Dolch, den er gewöhnlich am Gürtel trug, lag griffbereit auf dem Tisch. Er diente weniger zu seiner Verteidigung als dazu, das Bild zu vervollständigen, das er für seine Umgebung abgab. Die »Diele« war sein ureigenstes Revier. Hier hatte er gewöhnlich keinen der Feinde zu fürchten, die ein Nachtrabe wie er draußen auf den Straßen besaß. Er setzte sich aufrechter hin. Er hatte auf die Gestalt mit der Kapuze gewartet, und als er jetzt sah, wie diese sich aufmerksam in der gesamten Gaststube umsah, bevor sie ihn entdeckte und näher trat, da verwandelte sich das Schmunzeln auf seinem Gesicht in ein amüsiertes Grinsen.
Für einen Augenblick sahen der Neuankömmling und Arnulf sich schweigend an. Schließlich senkte Arnulf den Kopf zu einem spöttischen Gruß. »Bufo«, sagte er.
Die Gestalt streifte die Kapuze nach hinten, und zum Vorschein kam ein ältliches Männergesicht mit einer Unzahl von Falten und schütteren, teils ergrauten Haaren. Ein ebenfalls dürres Ziegenbärtchen und eine schmale, sehr spitze Nase gaben dem Gesicht Bufos einen verwegenen Ausdruck.
Er wandte sich dem Wirt zu. »Ein Bier«, bestellte er. Er wartete nichtab, bis Niklas bestätigend genickt hatte, sondern drängte sich zwischen zwei vollbesetzten Tischen hindurch in die Ecke, in der Arnulf saß. Dabei stieß er mit dem Fuß gegen das Stuhlbein eines der Spieler. Der Mann fuhr herum und hatte schon einen zornigen Ausruf auf den Lippen, doch als er Bufo erkannte, schluckte er hinunter, was auch immer er hatte sagen wollen. Stattdessen senkte er grüßend das Kinn.
Bufo ging achtlos an ihm vorüber und trat vor Arnulf hin. »Jonas hat mir gesagt, dass du mich suchst«, sagte er mit seiner tiefen Stimme, die so gar nicht zu seinem mageren Kinderkörper passen wollte.
Arnulf nickte. »Ich habe einen Auftrag für dich.« Mit einer gemessenen Bewegung griff er nach dem Geldbeutel an seinem Gürtel und knüpfte ihn los. In Bufos hellen Augen leuchtete Gier auf.
Arnulf wog den Beutel in der Hand. Er enthielt nur einen geringen Geldbetrag, allerdings in meist kleinen Münzen, so dass der Beutel gewichtig wirkte. Als der Nachtrabe ihn in Bufos ausgestreckte Hand fallen ließ, klirrten die Münzen darin leise.
Der Spieler, der eben noch auf Bufo hatte losgehen wollen, sah mit zusammengekniffenen Augen zu, wie das Geld unter dem dunklen Umhang verschwand. Dann erst schien ihm bewusst zu werden, dass Arnulf ihn aus seinen grünen Augen musterte. Rasch wandte er sich ab und tat so, als habe er nichts gesehen.
Arnulf deutete auf den Stuhl neben sich. »Setz dich!«
Bufo gehorchte.
»Ich möchte, dass du dich um einen Mann kümmerst, der sich Gerhardus Sutorius nennt. Ein Quacksalber, der heute auf dem Dunklen Markt aufgetaucht ist.«
Bufo warf den Geldbeutel in die Luft und fing ihn wieder auf. »Kümmerst?«, wiederholte er und grinste.
Arnulf zuckte die Achseln. »Mir ist egal, was dem Mann geschieht, aber ich will ihn aus der Stadt haben.« Er beugte sich ein Stück vor. »Lebend!«
»Warum so zimperlich?« Beiläufig langte Bufo nach dem Dolch auf dem Tisch und drehte ihn im Kreis.
Arnulf stoppte die Bewegung der Klinge mit raschem Griff. »Es liegen schon genug Männer mit durchgeschnittener Kehle in der Gosse.«
Bufo nickte. »Also keine Gewalt.«
»Keine tödliche Gewalt!«
»Schon klar! Ich …« Bufo wurde unterbrochen, weil Niklas ihm das bestellte Bier an den Tisch brachte. Er trank einen Schluck, setzte den Krug ab und wischte sich den Schaum vom Mund. »Du hast gesagt, der Kerl soll die Stadt verlassen, und das wird er tun.« Er trank einen weiteren Schluck. Über den Rand des Kruges sah er Arnulf an. »Lebend!« Mit einem einzigen langen Zug leerte er das
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