Madrapour - Merle, R: Madrapour
voraus, die nur noch der Mehrheit eigen ist.
Ich habe den Beginn des Dialogs nicht gehört. Ich muß vor mich hin gedämmert haben. Geweckt haben mich die Kampfvorbereitungen, die Mrs. Banister trifft, als der Feind vertrauensvollund ohne Deckung schon bis zum Fuß ihrer Mauern vorgedrungen ist. Wenn er sich einbildet, man werde ihm kurzerhand die Tore öffnen, ihn mit Blumengebinden und wehenden Fahnen empfangen, irrt er sich. Kerzengerade in ihrem Sessel sitzend, Schultern zurück, Busen vor, beide Hände auf die Seitenlehnen gestützt, thront Mrs. Banister in einer Pose herzoglicher Würde und hat ihre japanischen Augen wie winzige Schießscharten zusammengezogen. Unter ihrer spitzen, furchterregenden kleinen Nase lächelt sie mit trügerischem Charme und zeigt ihre raubgierigen kleinen Zähne. Herablassend hat sie ihrem Nachbarn den Kopf zugewandt, was ihr von vornherein einen riesigen Vorteil einräumt, denn alle bissigen Bemerkungen, die sie innerhalb ihrer Schutzwehr zusammengetragen hat, werden von oben auf den schönen Italiener niederprasseln. Und er ahnt natürlich nichts. Stolz auf sein schönes Gesicht eines römischen Kaisers, männlich und verweichlicht zugleich, rückt er in seinem fast weißen Anzug mit der vorbildlich gebundenen Krawatte vor. Wie sollte er auch seiner nicht sicher sein nach all den Angeboten, die man ihm gemacht: Blicke, Berührungen, Händedrücke, gespielte Verwirrung?
Ich weiß nicht, wie Manzoni das erste Scharmützel eingeleitet hat, aber ich sehe, wie es ausgehen wird: eher schief. Für den Gegenangriff bedient man sich seiner Herkunft – ein Geschoß, das ausgiebig poliert worden ist, bevor es auf ihn abgefeuert wird.
»Stammen Sie von dem berühmten Alessandro Manzoni ab?« fragt Mrs. Banister.
Sie sagt es mit gespitzten Lippen, hoheitsvoll, als gäbe es für sie keinen Zweifel, daß sich ihr Gesprächspartner keinesfalls einer so literarischen und überdies adligen Herkunft rühmen kann. Der unvorbereitete Manzoni begeht seinen ersten Fehler: weder wagt er, die ihm strittig gemachte Ehre für sich zu beanspruchen, noch will er völlig darauf verzichten.
»Vielleicht«, sagt er ausweichend. »Durchaus möglich.«
Eine recht unglückliche Antwort, die uns alle überzeugt, daß in der Tat nur eine Homonymie vorliegt. Und Mrs. Banister geht voll in die Offensive.
»Aber ich bitte Sie«, sagt sie noch hoheitsvoller, »da gibt es kein ›vielleicht‹ oder ›durchaus möglich‹. Wenn Sie von demberühmten Manzoni abstammten, der einer alten Adelsfamilie aus Turin angehört und so schöne Verse geschrieben hat (die sie sicher nie gelesen hat), wüßten Sie es! Jeder Zweifel wäre ausgeschlossen!«
»Gut, dann stamme ich wohl nicht von ihm ab«, sagt Manzoni.
»Und warum haben Sie versucht, uns das Gegenteil zu suggerieren? (An dieser Stelle erlaubt sie sich zu lachen.) Sie wissen, daß ich kein Snob bin«, fährt Mrs. Banister fort. (Manzoni sieht sie sprachlos an.) »Sie können ein absolut anständiger Mann sein, auch ohne von Manzoni abzustammen. Es lohnt nicht, sich zu brüsten.«
»Ich habe mich doch gar nicht gebrüstet!« sagt Manzoni, über soviel Ungerechtigkeit empört. »Sie selbst haben dieses Problem zur Sprache gebracht, nicht ich.«
»Aber Sie haben durch eine zweideutige Antwort Zweifel aufkommen lassen«, antwortet Mrs. Banister mit spöttischkokettem Lächeln.
»Ich habe irgendwas geantwortet«, sagt Manzoni völlig verwirrt, »und der Frage keine große Bedeutung beigemessen.«
»Wie denn, Signor Manzoni, Sie messen dem, was ich sage, keine Bedeutung bei? Warum richten Sie dann das Wort an mich?«
Manzoni wird rot und ist verzweifelt. Er nimmt mehrfach Anlauf, zu antworten, bleibt aber jedesmal stecken. Robbie kommt ihm zu Hilfe. Er beugt sich vor und sagt ganz ruhig zu Mrs. Banister:
»Da Sie Alessandro Manzonis Biographie so gut kennen, wissen Sie selbstverständlich auch, daß er in Mailand geboren ist und nicht in Turin, wie Sie sagten.«
Ein wenig pedantisch, aber es sitzt. Mrs. Banister stellt ihre Offensive ein. Im übrigen denkt sie nach. Sie steht vor einem heiklen Problem. Nach dieser Abfuhr muß sie mit dem Angreifer »in Kontakt« bleiben. Es gilt, ihn zu strafen und gefügig zu machen, nicht aber zu verprellen.
Sie beugt graziös ihren präraffaelitischen Hals, läßt durch die Drehung des Oberkörpers ihre Brüste hervortreten, kommt Manzoni dadurch auf verführerische Weise nahe, schenkt ihm ihr offenherzigstes Lächeln und
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