Madrapour - Merle, R: Madrapour
starke Erregung herauszuhören ist, sagt sie: »Ich habe den See wiedererkannt! Und den Quai! Hier sind wir gestern mit dem Inder gelandet!«
Entsetztes Schweigen breitet sich aus, bevor Sekunden später Blavatski explodiert.
»Sie sind verrückt! Was wollen Sie hier wiedererkennen! Wo kaum etwas zu sehen ist! Außerdem haben Sie die Tragfläche vor dem Kabinenfenster!«
»Aber mitnichten!«
»Doch! Sie halten die schwache Spiegelung der Tragfläche für Wasser! … Mit viel Phantasie! …«
»Aber mitnichten!« wiederholt die Murzec. »Kommen Sie doch her und sehen Sie selbst, wenn Sie mir nicht glauben!«
»Die Mühe kann ich mir schenken«, sagt Blavatski in gröblich beleidigendem Ton. »Ich kann von meinem Platz aus feststellen, daß nichts zu sehen ist, kein See und auch kein Quai!«
Wie um Blavatski zu gestatten, über die Murzec zu triumphieren, verdunkelt sich in diesem Augenblick das Mondlicht, und die Landschaft draußen ist dem Blick entzogen. Die Murzec kehrt an ihren Platz zurück und sagt mit unbeirrtem Sanftmut:
»Ich bedauere, Ihnen widersprechen zu müssen, Monsieur Blavatski. Jetzt sieht man wirklich nichts mehr. Aber eben noch habe ich einen See und den an seinem Ufer verlaufenden Quai gesehen. Und ich habe beides wiedererkannt! Der Inder ist auf diesem Quai entlanggegangen, als er die Kunstledertasche ins Wasser fallen ließ.«
»Sie haben gesehen, was Sie sehen wollten!« brüllt Blavatski. »In Wahrheit sind Sie von der Erinnerung an den Inder einfach besessen! Ich bin sicher, wenn Sie im Cockpit knien und beten, sehen Sie ihn im Himmel schweben!«
Er lacht kurz auf. Die Murzec bewahrt Schweigen, aber Robbie sagt mit deutlicher Entrüstung in der Stimme:
»Solche Überlegungen könnten Sie sich sparen, Blavatski!Was Madame Murzec im Cockpit macht, geht Sie nichts an, und Sie haben ihr auch keine Visionen zuzuschreiben!«
»Ich tu ihr damit doch kein Unrecht«, sagt Blavatski mit plumper Ironie, ohne Robbie anzusehen. »Man leiht nur denen, die etwas besitzen. Madame Murzec besitzt eine mystische Ader: sie sieht entschieden mehr als die Realitäten dieser Welt!«
Man hätte eine Entgegnung der Murzec erwarten können. Doch nein. Kein einziges Wort. Schweigen. Die linke Wange hingehalten. Und Robbie ruft aufgebracht mit schriller Stimme:
»Mir ist unbegreiflich, wie Sie so unflätig eine Frau angreifen können, die sich nicht zur Wehr setzt. Oder doch, ich begreife. Sie wollen nicht zugeben, daß die Maschine seit gestern abend im Kreis geflogen ist, um zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren.«
Ausrufe des Entsetzens bei der Mehrheit, aber in gedämpften Tönen. Kein Zetergeschrei, so stark ist die Niedergeschlagenheit.
»Auf eine so fragwürdige Aussage hin kann ich das nicht zugeben!« entgegnet Blavatski mit verhaltener Wut. »Was Madame Murzec innerhalb einer Sekunde bei vagem Mondlicht zu sehen glaubte, als sie durch ein verzerrendes Kabinenfenster blickte, hat für mich keine Beweiskraft! Mehr will ich damit nicht sagen! Das gibt mir der gesunde Menschenverstand ein, und daran halte ich mich!«
»Ich bitte Sie um Verzeihung, ich habe einen See gesehen«, sagt die Murzec, deren Züge man nicht mehr erkennen kann, weil es jetzt sehr dunkel geworden ist. Sie spricht vollkommen gelöst, als ob keiner von Blavatskis Pfeilen vermocht hätte, ihre Rüstung zu durchdringen. »Ich wiederhole«, fährt sie fort, »ich habe einen See gesehen, dessen Wasser mir trotz des Mondes sehr schwarz erschien. Ich habe einen Quai gesehen. Und ich habe sogar ein am Quai festgemachtes Boot gesehen. Und ich habe das alles nicht nur gesehen, ich habe es auch wiedererkannt.«
»Wie wollen Sie wissen, daß es ein See war?« fragt unvermittelt eine Stimme, die ich am Tonfall als die von Caramans erkenne. »War es denn hell genug? Und haben Sie das andere Ufer erkennen können?«
»Um die Wahrheit zu sagen, nein«, antwortet die Murzec.
»Dann war es vielleicht ein Fluß«, sagt Caramans im Ton eines Schulmeisters, der einen Schüler bei einem Fehler ertappt.
»Nein. Ein Fluß hat eine Strömung.«
»Wenn das Wasser schwarz war, konnten Sie die Strömung nicht erkennen.«
»Das ist möglich.«
»Und weil das Kabinenfenster so klein ist«, fährt Caramans mit höflicher Unnachgiebigkeit fort, »haben Sie sich von der tatsächlichen Ausdehnung der Wasserfläche keine genaue Vorstellung machen können.«
»Mag sein«, antwortet die Murzec.
»Unter solchen Bedingungen«, schlußfolgert Caramans
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