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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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zurückkehrt –, als er sich plötzlich eines anderen besinnt, das Foto aus dem Buch zieht und es völlig ungeniert und eingehend betrachtet.
    »Gefällt Ihnen Mike?« fragt die Murzec ein wenig hämisch.
    Robbie reagiert nicht, sondern setzt seine Betrachtung fort, dann hebt er den Kopf, sieht mich an und sagt auf deutsch: »
Er ist ein schöner Mann, aber … ›Ich fühle nicht die Spur von einem Geist.‹
Nein, übersetzen Sie nicht, Mr. Sergius, das wäre sinnlos. Einen Vers von Goethe zu übersetzen hieße unter den gegebenen Umständen, Perlen vor die Säue zu werfen. Wie wir wissen, sind manche Leute für die Feinheiten der Psychologie völlig unempfänglich.«
    Er legt das Foto in das Buch zurück und nimmt mit leicht überheblicher Miene, als hätte er sich durch das Goethezitat einen weiteren Stern auf den Schulterstücken einer Uniform verdient, wieder seine ursprüngliche Position ein: Hände auf den Seitenlehnen.
    Erneut breitet sich Schweigen aus.
    »Würden Sie mir eine Bemerkung gestatten?« fragt Blavatski.
    Der Inder stößt einen leisen Seufzer aus. Seit Michous Nameausgelost worden ist, haben seine Persönlichkeit, seine Haltung oder vielleicht nur seine Position an Bord eine gewisse Veränderung erfahren. Er beherrscht das Flugzeug nicht mehr. Er scheint beinahe selbst beherrscht zu werden. Obwohl er noch immer Herr über unser Leben, unsere Worte, unseren Besitz und über die geringste unserer Bewegungen ist, hat sich der Abstand zwischen ihm und uns verringert, und zwar in dem Maße, wie offensichtlich wird, daß er, der mit uns in dasselbe Abenteuer verstrickt ist, das weitere Geschehen ebensowenig unter Kontrolle hat wie wir.
    Während die Zeit verstreicht (ich bin sicher, daß die Frist von einer Stunde, die er dem BODEN gestellt hat, schon abgelaufen ist), muß er trotz der Macht, die ihm über uns zu Gebote steht, seine Ohnmacht gegenüber dem BODEN erkennen. Daher unser Eindruck, daß er seit der Auslosung nicht mehr im vollen Besitz seiner Autorität, nicht mehr so gegenwärtig ist und seine Fähigkeit, andere zu beherrschen, nicht mehr wie zuvor einsetzt.
    »Sprechen Sie, Mr. Blavatski«, sagt er mit einer gewissen Müdigkeit.
    »Nehmen wir an, die Stunde wäre um – falls sie es nicht schon ist.« Blavatskis Augen funkeln hinter den Brillengläsern. »Was geschieht? Sie bleiben bei Ihrem Vorsatz und richten dieses junge Mädchen hin. Aber ein Flugzeug, ich darf Sie daran erinnern, ist ein hermetisch abgeschlossener Raum. Erste Frage: was machen Sie mit der Leiche?«
    »Ich lehne es ab, darüber zu diskutieren«, sagt der Inder, aber ohne Schärfe und ohne Blavatski das Wort zu entziehen.
    Er scheint ihn sogar zum Weitersprechen zu ermutigen.
    »Gut, denken wir uns die Geschichte weiter«, fährt Blavatski fort. »Nach dieser ersten Hinrichtung erneuern Sie Ihr Ultimatum an den BODEN. Und der BODEN, sei es, daß er Sie nicht hört oder daß er Sie hört, aber Ihren Forderungen nicht nachkommen will, läßt das Flugzeug auch nach der zweiten Stunde nicht landen. Sie richten also eine zweite Person hin, und ihr Leichnam kommt zu dem des jungen Mädchens – sagen wir, um eine gewisse Form zu wahren, nebenan, unseren Blicken entzogen. Wenn der BODEN dann Ihrem Ersuchen gegenüber weiterhin taub bleibt, steht der Fortsetzung dieses verhängnisvollen Vorgangs nichts im Wege, und die Touristenklassewird gleichsam zur Leichenkammer für die vierzehn Passagiere dieses Flugzeugs. Sie und Ihre Assistentin werden am Ende die einzigen Überlebenden inmitten dieses Leichenhaufens sein. Und an unserem Ziel, welches es auch sein mag, werden Sie wegen dieses Massakers unweigerlich verhaftet und unter Anklage gestellt werden.«
    Der Inder hört der makabren Schilderung Blavatskis ohne die geringste Gefühlsäußerung zu. Dann sieht er erneut auf seine Uhr, aber sehr diskret, wie schon zuvor. Seltsamerweise bringt Blavatskis Analyse ihn nicht in Verlegenheit, sondern scheint ihm sogar seine Sicherheit wiederzugeben. Und er sagt in völlig ruhigem Ton:
    »Ihre Prognose, Mr. Blavatski, geht von falschen Voraussetzungen aus. Sie beruht auf zwei Prämissen: erstens, daß der BODEN den Passagieren kein Wohlwollen entgegenbringt; und zweitens, daß meine Forderungen an den BODEN maßlos sind.«
    »Ich bin gern bereit, über diese Prämissen zu diskutieren«, sagt Blavatski.
    »Aber es gibt da nichts zu diskutieren, Mr. Blavatski!« Der Inder fällt wieder in seine beißende Ironie zurück. »Das Wohlwollen

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