Madrapour - Merle, R: Madrapour
Albernheiten an die Oberfläche.
Die Augen auf Blavatski gerichtet, schleudert die Murzec Blitze und schreit gellend, dabei aber resolut:
»Monsieur Blavatski, Sie bilden sich wohl ein, hier das große Wort führen zu können, bloß weil Sie Amerikaner sind! Ich habe aber ein Recht auf meine Meinung, und niemand wird mich zum Schweigen bringen.«
»Oh, doch«, sagt Pacaud, völlig außer sich. »Ich! Nötigenfalls durch ein paar Ohrfeigen!«
»Sie sind hier nicht bei Madame Edmonde«, sagt die Murzec mit einem kurzen Grinsen. »Und ich bin kein falsches Gewicht!«
»Madame!« brüllt Pacaud.
»Oh, bitte nicht so laut! Ich durchschaue alles, und das stört Sie!«
Robbie stürzt sich mit rächender Stimme ins Getümmel. »Sie durchschauen alles – wie wahr! Bornierte Leute verstehen immer alles, aber nur zur Hälfte.«
Die Murzec grinst.
»Es steht Ihnen gut zu Gesicht, von Hälfte zu sprechen, wo Sie nur ein halber Mann sind!«
»Madame, meinetwegen können Sie von Ihren Reisegefährten denken, was Sie wollen«, wendet sich Caramans zum erstenmal direkt an Madame Murzec, »aber Sie sind nicht gezwungen, es ihnen zu sagen.«
»Was wollen Sie? Ich bin nur offen. Ich habe zum Beten nicht heucheln gelernt.«
Caramans macht seinen Flunsch und schweigt.
»Es geht nicht um Offenheit, sondern um ein Minimum an guter Erziehung«, sagt Blavatski.
»Ein Beispiel für dieses Minimum an guter Erziehung: Das Handgepäck eines Reisegefährten durchsuchen, wenn er auf der Toilette ist«, sagt die Murzec, kurz auflachend.
Chrestopoulos fährt auf und wirft Blavatski einen wütenden und zugleich erschreckten Blick zu.
»Madame!« sagt Blavatski entrüstet. »Sie sind einfach bösartig, das ist die Wahrheit.«
»Die Wahrheit der Western: die Guten und die Bösen. Und am Ende massakrieren die Guten die Bösen. Wenn das Ihre Moral ist, behalten Sie sie für sich.«
An diesem Punkt sehe ich den Inder lächeln, aber so flüchtig und diskret, daß ich hinterher fast zweifle, ob sich seine starren Züge wirklich belebt haben. Im übrigen finde ich selbst, daß Blavatski die Dinge zu sehr vereinfacht, und ich beschließe, auf Gedeih und Verderb einzugreifen, denn die Murzec streckt ihre Krallen nach allen Seiten aus, ohne jemand zu verschonen.
»Bösartig oder nicht«, sage ich, »jedenfalls scheinen Sie Ihresgleichen nicht sehr zu lieben.«
»Doch«, sagt sie, »aber unter der Voraussetzung, daß sie mir wirklich gleichen und keine Gorillas sind.«
Töne der Entrüstung werden laut, und Mrs. Boyd ruft aus:
“My dear! She’s the limit!”
»Sie sind selbst
the limit
«, schreit die Murzec wütend. »Sie Vielfraß, Sie, die Sie kaum mehr als Mund, Eingeweide und After sind!«
»Mein Gott!« sagt Mrs. Boyd.
»Wie abscheulich, so zu einer alten Dame zu sprechen!« sagt Manzoni, den das Wort »After« empört hat. Und er fügt mit der Weichlichkeit des wohlerzogenen Knaben hinzu: »Sie haben schreckliche Manieren.«
»Ach Sie, seien Sie doch ruhig, Sie Utensil dieser Damen!« sagt die Murzec mit abgrundtiefer Verachtung. »Die Phallen haben jetzt nicht das Wort!«
»Wenn sie es hätten, würden sie jedenfalls nicht für Sie stimmen«, meint Robbie, kurz auflachend.
Aber der so unerschrockene Robbie hat nur leise gesprochen, was der Murzec gestattet, ihn zu ignorieren und sich eine Atempause zu gönnen.
Ich nutze die Windstille und versuche, die Schlacht auf ein etwas ernsthafteres Gelände zu verlegen.
»Madame, gestatten Sie mir eine Frage: Finden Sie es nicht abwegig, uns alle derart zu hassen und zu verachten? Was haben wir Ihnen denn getan? Und worin unterscheiden wir uns so von Ihnen?«
»In allem natürlich! Sie werden doch nicht etwa Vergleiche ziehen wollen!« schreit die Murzec mit so gellender und zitternder Stimme, daß mir scheint, als ob sie plötzlich innerlich einen Sprung bekommen hätte. »Gott sei Dank habe ich nichts mit diesen abstoßenden Kreaturen des Untermenschentums zu schaffen, von denen ich umgeben bin.«
Stürmische Proteste sind die Folge. Es hebt ein allgemeines Gezeter an, das sekundenlang anschwillt. Glücklicherweise ist Madame Murzec eine Frau und sind wir alle angeschnallt, denn die erste Reaktion des Kreises ist gleichsam, sie zu lynchen; die zweite, sie zu verjagen. Das Signal dazu gibt übrigens Pacaud, der mit hervorquellenden Augen und hochrotem Schädel wütend schreit: »Stecken wir sie in die Touristenklasse, und damit basta!«
Blavatski hebt die Hand, ohne zu bemerken,
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