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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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daß die Assistentin des Inders ihre Waffe auf ihn richtet, und seine laute Stimme übertönt unser Gezeter. Bisher kannte ich von ihm zwei Ausdrucksweisen, eine gewollt vulgäre und ein offizielles,korrektes Englisch, dessen er sich in den Diskussionen mit Caramans bediente. Jetzt entdecke ich eine dritte: die schwerfällige und nasale Stimme eines Predigers.
    »Wenn wir für Sie Untermenschen sind, Madame«, sagt er, und er betont das Wort »Untermenschen« mit verhaltenem Zorn, »ist es das beste, Sie verlassen diese Maschine, sobald sie landet!«
    Sein Anerbieten wird mit zustimmendem Gejohle aufgenommen, welches – ich schäme mich, es zu sagen – dem Heulen einer Hundemeute gleicht, die hinter einem Wild her ist. Von allen Seiten hagelt es in verschiedenen Sprachen auf die Murzec nieder: »Raus!
Out with you! Dehors!
«
    Die Stewardess wendet mit sanfter Stimme ein: »Madame Murzec hat ein Ticket nach Madrapour.«
    Sie spricht den Satz auf eine Weise, die uns begreiflich machen müßte, daß die symbolische Bedeutung die wörtliche vielleicht noch übertrifft. Doch uns steht nicht der Sinn danach, diese Nuancen wahrzunehmen. Wir trampeln genüßlich auf der Murzec herum.
    »Nötigenfalls werden wir Sie rausschmeißen«, brüllt Pacaud mit puterrotem Kopf und geschwollenen Schläfen.
    »Das wird nicht nötig sein«, sagt die Murzec.
    Dieser Satz und die Gelassenheit, mit der sie ihn spricht, stellt die Ruhe wieder her. Aber ich bin sicher, die Gelassenheit der Murzec ist nur äußerlich, denn so unerschrocken sie auch auftritt – die Wirkung unseres Hasses muß verheerend gewesen sein. Ihre Augenlider zittern, ihr gelblicher Teint ist heller geworden. Mir fällt auch auf, daß sie entgegen den Anweisungen des Inders die Arme über der Brust kreuzt und ihre Hände unter die Achseln steckt.
    »Ich werde gehen, sobald die Maschine aufgesetzt hat«, fügt sie mit fester Stimme hinzu.
    Nach einem ziemlich langen Schweigen sagt die Stewardess mit neutraler, unpersönlicher Stimme: »Madame, Ihr Flugticket gibt Ihnen das Recht, Ihren Platz in diesem Flugzeug bis zur Ankunft zu behalten.«
    Mit anderen Worten, sie bittet die Murzec keineswegs, zu bleiben. Sie erinnert sie ein weiteres Mal daran, daß sie das Recht dazu hat. Die Stewardess erfüllt ihre Pflicht, aber ohne Wärme.
    Die Murzec hört diesen Unterton sofort heraus, und ihre blauen Augen flammen auf.
    »Können Sie mir denn mit Gewißheit sagen, daß diese Maschine wirklich nach Madrapour fliegt?«
    »Ja, Madame«, sagt die Stewardess in demselben neutralen, offiziellen Ton.
    »Ja, Madame«, äfft die Murzec sie mit verächtlichem Grinsen nach. »In Wirklichkeit wissen Sie es überhaupt nicht. Und dennoch haben Sie uns von Anbeginn unaufhörlich in der Illusion einer falschen Sicherheit gewiegt.«
    »Ich, Madame?« fragt die Stewardess.
    »Ja, Sie! Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen, daß Sie es endlich wissen! Mit Ihrem Rühr-mich-nicht-an-Gehabe sind Sie hier die Schlimmste von allen! Eine Lügnerin und Heuchlerin! Denn Sie werden doch nicht behaupten wollen«, sagt sie, lauter werdend, um sich gegen unsere Proteste durchzusetzen, »Sie hätten nicht gewußt, daß sich niemand im Cockpit befand! Sie wußten es von Anfang an! Sie wußten es von dem Augenblick an, als ich Sie bat, Ihre Bordinformation zu vervollständigen.«
    Unter der plötzlichen Empfindung, daß die Murzec recht hat, erstarrt der Kreis. Sie wird uns dadurch nicht sympathischer, im Gegenteil. Aber wir sind wenigstens gezwungen zu schweigen. Und unsere wütenden Blicke, die sich von ihr abwenden, bleiben an der Stewardess haften, gemildert zwar, aber zweifelnd, denn je länger die Antwort der Stewardess ausbleibt, um so deutlicher wird uns der Inhalt.
    »Das stimmt«, sagt die Stewardess. »In dem Augenblick, als ich auf Ihr Ersuchen hin das Cockpit betrat …«
    Sie vollendet den Satz nicht. Und sogar ich verspüre ein gewisses Unbehagen, obwohl ich für sie zittere und sie so gerne beschützen möchte. Reglos und unsicher sehen wir sie mit gemischten Gefühlen an, denn auch wenn bislang alle Passagiere ihre Freundlichkeit zu schätzen wußten, lassen ihre Worte jetzt einige Zweifel in uns aufkommen. Blavatski runzelt die Brauen und senkt den Kopf, und ich befürchte, daß er zum Angriff übergehen wird.
    Hätte die Murzec angesichts dieser Konstellation geschwiegen, wäre sie wohl gerettet gewesen. Aber sich zurückzuhalten, das gerade ist das einzige, was sie nicht kann. Sie

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