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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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lacht ganz widerwärtig, und erfüllt von dem Gedanken, sich an einem vonuns rächen zu können, fragt sie: »Und Sie haben niemand vorgefunden?«
    »Nein«, sagt die Stewardess mit erhobenem Kopf, die Hände brav über den Knien gefaltet und so hübsch, so bescheiden, daß mein Herz höher schlägt.
    Ohne länger abzuwarten, was sie sagen wird, beschließe ich, ihr zu glauben und ihr zu helfen.
    »In diesem Falle wäre es Ihre Aufgabe gewesen, den Passagieren die Wahrheit zu sagen«, erwidert die Murzec gehässig.
    »Ich habe mir selbst die Frage gestellt, ob ich es tun soll«, sagt die Stewardess. (Ganz aufrichtig, wie mir scheint, aber ich bin ihr wieder völlig ausgeliefert.) »Doch habe ich es vorgezogen, nichts zu sagen«, fährt sie nach kurzem Schweigen fort. »Letzten Endes besteht meine Aufgabe an Bord nicht darin, die Passagiere zu beunruhigen, im Gegenteil.«
    In das folgende Schweigen hinein sage ich: »Das ist ein Gesichtspunkt, der mir gerechtfertigt erscheint.«
    Die Murzec grinst.
    »Das Tier eilt der Schönen zu Hilfe! Also gut, Mademoiselle«, fährt sie zähneknirschend fort, »beruhigen Sie jetzt diese Leichtgläubigen! Sagen Sie ihnen, daß die Maschine nach Madrapour fliegt!«
    Die Stewardess bleibt stumm.
    »Sehen Sie, Sie wagen das nicht zu wiederholen!« schreit die Murzec voller Gift und Galle.
    »Madame«, sagt die Stewardess mit verschlossenem Gesicht, »ich wüßte nicht, inwiefern meine Meinung irgend jemand interessieren könnte. Sie ist völlig bedeutungslos: nicht ich steuere das Flugzeug, sondern der BODEN.«
    Obwohl diese Worte zweideutig sind (oder vielleicht gerade deshalb), verspürt niemand das Bedürfnis, sie in Zweifel zu ziehen. Nicht einmal die Murzec, die jegliches Interesse für die Stewardess und ihre Antworten verliert, als die Landemanöver einsetzen. Sie springt unversehens auf, denkt selbstvergessen nach und scheint alle ihre Kräfte anzuspannen, um in ihrer Entscheidung bis zum Äußersten zu gehen.
    »Wo landen wir?« fragt sie den Inder mit leicht zitternder Stimme.
    »Wie soll ich das wissen?« sagt der Inder in einem Ton, der nicht zum Gespräch ermuntert.
    Die Maschine verliert spürbar an Höhe, und niemand ist zum Reden aufgelegt, bis das Flugzeug in finsterster Nacht – am Himmel ist kein Stern zu sehen und auf der Erde kein einziges Licht, das auf einen Flughafen oder einen bewohnten Ort hindeuten könnte – mit einem so heftigen Ruck aufsetzt, daß es uns den Atem verschlägt. Die Inderin, die am Vorhang zur Touristenklasse stehengeblieben war, wird mit Wucht nach vorn geschleudert und wäre ohne Zweifel gestürzt, wenn ihr Gefährte sie im Vorbeifliegen nicht noch hätte am Arm festhalten können.
    Während die Chartermaschine über eine offensichtlich sehr unebene Piste holpert, richtet sich der Inder auf und sagt in überaus höflichem Ton:
    »Rühren Sie sich nicht und lösen Sie auch die Gurte nicht. Sobald sich der Exit öffnet, werden alle Lichter ausgehen. Erschrecken Sie nicht. Diese Dunkelheit ist Bestandteil meiner Forderungen. Sie wird nur wenige Minuten dauern.«
    Und da sich Madame Murzec entgegen seiner Anweisung bereits erhebt, ihr Handgepäck auf den Sessel legt und eine Wildlederjacke überzieht, sagt der Inder leise und mit taktvoller Diskretion, als spräche er zu seiner eigenen Beruhigung und ohne Aussicht, etwas zu erreichen:
    »Madame, mir scheint, Sie geben sich falschen Hoffnungen hin, wenn Sie glauben, darüber entscheiden zu können, ob Sie nach Madrapour fliegen oder nicht.«
    Wir spitzen bei diesem erstaunlichen Satz die Ohren. Aber die Murzec scheint ihn zu überhören. Und der Inder fügt nichts hinzu. Langsam und bedächtig setzt er seinen Turban auf. Er ist warm angezogen, trägt sogar Handschuhe. Den Revolver immer noch in der linken Hand, postiert er sich hinter seinem Sessel und sieht uns aus seinen glänzenden schwarzen Augen mit einem Ausdruck an, den zu beschreiben ich zögere, so sehr mischen sich darin Ironie und Mitleid.
    Die Chartermaschine bleibt stehen, und in der einsetzenden Stille höre ich – oder glaube ich zu hören –, wie die Treppe ausgefahren wird und vor dem Exit zum Halten kommt. In diesem Augenblick verlöschen die Lichter, und eine der Frauen, vermutlich Mrs. Boyd, stößt einen Schrei aus.
    Die Dunkelheit ist von tiefer Schwärze ohne die geringsten Abstufungen von Grau. Um mich herum raschelt es mehrmals,wie ich glaube, meine Handflächen werden feucht, und ich presse die Arme gegen meinen

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