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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Körper, als wollte ich mich schützen.
    In diesem Moment höre ich hinter meinem Rücken die peitschende Stimme des Inders.
    »Setzen Sie sich, Mr. Chrestopoulos! Und rühren Sie sich nicht mehr. Sie hätten beinahe Madame Murzec erstochen.«
    Im selben Augenblick flammt hinter mir eine Taschenlampe auf. Der Lichtkegel fällt auf Chrestopoulos, der mit einem Taschenmesser in der Hand vor seinem Sessel steht, nur wenige Schritt entfernt von Madame Murzec, die ihm den Rücken kehrt und offensichtlich im Begriff war, auf den Exit zuzugehen, als die Stimme des Inders sie zum Stehen brachte. Die Inderin, nur in verschwommenen Umrissen erkennbar, steht mit der Kunstledertasche in der Hand in der Nähe des Exits.
    Chrestopoulos setzt sich. Mit einem kurzen Klicken läßt er sein Messer wieder einschnappen. Der Lichtkegel wandert über Blavatski zu Bouchoix und Pacaud, die alle drei erstarrt sind, und verharrt schließlich auf dem Genick des Griechen. Der Inder streckt seine behandschuhte Rechte vor, und der Grieche hält ihm wortlos das Messer hin.
    »Mr. Chrestopoulos, können Sie sich ausmalen, was passiert wäre, wenn wir im Dunkeln auf Sie geschossen hätten?« sagt der Inder ohne jeglichen Zorn in der Stimme. »Wieviel Leute zu Schaden gekommen wären … Und das alles für ein paar Ringe.«
    Er seufzt und macht die Taschenlampe aus; wieder hüllt uns die Dunkelheit ein, dann herrscht Stille. Ich weiß nicht, ob ich es höre, wie die Tür sich öffnet, oder ob sich dieses Geräusch mit meinen Atemzügen vermischt. Aber ich spüre einen kalten Luftzug, und ich kauere mich frierend in meinen Sessel, denn die einströmende eisige Luft verschlägt mir den Atem.
    »Ihr seid gerettet«, sagt der Inder. Seine ernste Stimme dröhnt wie eine Glocke in meinem Kopf. »Ihr seid gerettet. Vorläufig. Aber wäre ich an eurer Stelle, würde ich dem Wohlwollen des BODENS nicht unbedingt vertrauen. Es ist nicht sicher, ob das Schicksal, das er für euch bereithält, sich erheblich von dem unterscheidet, das ich euch zugedacht hatte, wenn das Flugzeug nicht gelandet wäre. Um es deutlicher zu sagen: vielleicht läßt auch der BODEN euch einen nach dem andern sterben. Dennauf der Erde sterbt ihr letztendlich doch genauso. Einer nach dem andern. Allein mit dem Unterschied, daß der Abstand etwas länger ist und euch die Illusion gibt, daß ihr lebt.«
    Er macht eine Pause und fährt fort:
    »Nun gut, bewahrt euch diese Illusion, wenn sie die Angst euch nehmen kann. Aber wenn ihr das Leben liebt, wenn ihr es nicht gleich mir als
unannehmbar
betrachtet, verderbt euch diese kurzen Augenblicke nicht mit Streit. Vergeßt es nicht: so lang das Leben euch erscheinen mag, der Tod ist ewig.«
    Ich lausche. Ich höre keine Schritte. Nichts, was auf einen Weggang deutet. Nur unser pfeifendes Atmen und das Stöhnen, das die eisige Kälte uns abringt. Innerlich wiederhole ich mir endlos die letzten Worte des Inders, wie das Leitmotiv eines Alptraums. Ich weiß nicht mehr, ob es diese Worte sind, die mich lähmen, oder der eisige Wind oder die unmenschliche Dunkelheit. Doch mich durchzuckt der Gedanke, daß ich schon im Grabe liege, eingeschlossen in die Nacht und den vereisten Boden, und daß ich mir im Tode noch – schreckliche Vorstellung – meines Zustandes bewußt bin.

KAPITEL 8
    Auch nachdem der Exit wieder verriegelt ist, hält die durchdringende eisige Kälte an, sie scheint sogar zuzunehmen. Man hat den Eindruck, als hätte das Flugzeug seinen letzten Wärmevorrat aufgebraucht.
    Aber erst in diesem Augenblick – als wir nicht mehr die Gegenwart des Inders spüren – wagen wir, uns zu bewegen, und denken daran, uns gegen die Kälte zu schützen. Wie auf Verabredung stehen alle gleichzeitig auf und tasten im Dunkeln wild durcheinander nach ihren Mänteln.
    Mit schweren Beinen, die Brust wie in einen Schraubstock gespannt, finde ich mich wieder an meinem Platz. Mir kommt der absurde Einfall, mich in der Touristenklasse durch ein paar gymnastische Übungen warm machen zu wollen. Doch kaum habe ich den Vorhang zur Seite geschoben, schlägt mir eine solche Kälte entgegen, daß ich wie ein Betrunkener auf meinen Platz zurücktorkele. Trotz aller Vermummung – ich habe sogar meinen Hut aufgesetzt – wird mir nicht wohler. Der dicke Mantel, den ich übergezogen habe, scheint nur die Kälte einzuschließen, die in mir wohnt.
    Seltsam, es gelingt mir nicht, mich zu erinnern, daß mir je in meinem Leben warm gewesen wäre, oder mir vorzustellen,

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