Madrapour - Merle, R: Madrapour
daß ich jemals wieder milde Luft atmen könnte. Als das Licht wieder angeht, entringt sich mir ein Seufzer der Erleichterung – eine ebenso impulsive Reaktion wie das Augenblinzeln unter dem Eindruck der Helligkeit. In Wirklichkeit kann ich nicht richtig glauben, daß es im Flugzeug noch einmal warm werden wird.
Ich sehe die Stewardess an. Sie ist blau vor Kälte. Sie hat sich eine Decke über die Schultern geworfen, die sie jetzt abnimmt, als das Licht aufflammt. Sie schwankt auf ihren Beinen, reibt die Hände aneinander und sagt leise mit brüchiger Stimme: »Ich mache Kaffee.«
Dankbares Gemurmel ist die Antwort, kaum artikuliert, weilwir mit unseren Kräften haushalten müssen. Und Mrs. Banister haucht: »Könnte ich Tee haben?«
»Ich auch«, sagt Bouchoix mit ersterbender Stimme.
Er sitzt zusammengesunken auf seinem Sessel und zittert an allen Gliedern. Mit seiner wächsernen Haut und den eingefallenen Augen sieht er fast wie eine Leiche aus.
»Ja«, sagt die Stewardess, der sogar dieses »Ja« schwerzufallen scheint. Und sie geht wankend auf die Pantry zu.
Pacaud richtet sich auf, durchquert zögernd den rechten Halbkreis, nimmt mit zitternden Händen die Decke, die die Stewardess auf ihrem Sessel zurückgelassen hat, und breitet sie wortlos über Bouchoix’ Beine. Erst glaubte ich, Bouchoix hätte es nicht gemerkt, denn er sieht seinen Schwager nicht an und bedankt sich auch nicht. Aber etwas später bemerke ich, wie er nach der Decke greift und sie sich bis zum Kinn hochzieht.
Ich stehe nun ebenfalls auf, nicht ohne Mühe, und lasse meinen Hut auf dem Sessel liegen. Zu meinem großen Erstaunen hebt Blavatski den Kopf und fragt mit schwacher Stimme, jedoch nicht ohne eine gewisse Anmaßung: »Wo gehen Sie hin?«
»Ich will der Stewardess meine Hilfe anbieten.«
»Die Stewardess braucht Ihre Hilfe nicht.«
»Und ich brauche Ihre Ratschläge nicht, danke.«
So kurz dieser Wortwechsel ist, er ermüdet mich. Schwer atmend und mit dem unangenehmen Gefühl, daß alle meine Gelenke steif geworden sind, erreiche ich taumelnd die Pantry. Die Stewardess hat ihre Hände um einen mit Wasser gefüllten Topf gelegt, in dem ein Tauchsieder steckt. Als sie mich sieht, huscht über ihr Gesicht ein schwaches Lächeln des Dankes, aber sie scheint nicht erstaunt zu sein. Sie zittert am ganzen Körper.
»Das Wasser war nicht mehr warm genug«, sagt sie kaum hörbar.
Ich blicke auf ihre langen schmalen Finger, die das Metall umklammern.
»Sie müssen sie rechtzeitig wegnehmen, sonst könnten Sie sich verbrennen, ohne es zu merken.«
Sie nickt, und ich fahre fort:
»Man sollte den Passagieren auch einen Imbiß geben. Sie müssen essen, um warm zu werden.«
Sie nickt wieder und weist mit dem Kopf auf eine Tür hinteruns: Dort, will sie sagen, aber es kommt kein Ton aus ihrem Mund.
Der vermeintliche Wandschrank ist eine Art Kühlraum, und ich bin über die darin aufbewahrten Vorräte sehr erstaunt: Es ist unendlich mehr, als man braucht, um fünfzehn Passagiere für fünfzehn Stunden zu versorgen.
So gut ich kann, richte ich die Tabletts her und stelle sie auf den Servierwagen. Die Stewardess beobachtet mich dabei, immer noch zitternd und ohne zu sprechen, ohne sich zu bewegen, die Hände gegen den Metalltopf gepreßt. Das Wasser beginnt zu rauschen.
»Nehmen Sie die Hände weg, sonst verbrennen Sie sich«, sage ich schnell.
Sie rührt sich nicht. Abgesehen von ihren lebhaften, ausdrucksvollen Augen, scheint sie in einem Eisblock zu stecken und völlig willenlos zu sein. Ich stelle mich hinter sie, ergreife ihre beiden Handgelenke und reiße ihre Hände mit Gewalt von dem Topf los. Es war höchste Zeit: die Handflächen wurden schon langsam rot. Sie stößt einen leisen Seufzer aus und läßt sich zurückfallen, ihr Kopf sinkt auf meine Schulter.
Ihr so nahe, aber außerstande, sie zu begehren, fühle ich meine Zuneigung um so stärker. Ihre Handgelenke haltend, ihren Körper umschlingend, bin ich nur von dem Gedanken erfüllt, daß sie da ist, ohne etwas anderes zu wünschen, ohne jene Begierde nach der Zukunft, die einem meistens die Gegenwart verdirbt. Schwindlig im Kopf oder jedenfalls gerade noch so weit bei Sinnen, um zu wissen, daß ich glücklich bin, starre ich über ihr goldblondes Haar hinweg vor mich hin. Genauer: ich fasse unbewußt und dennoch aufmerksam das Metallgefäß ins Auge, in dem das Wasser zu kochen beginnt. In der Verworrenheit meiner geistigen Verfassung registriere ich einen
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