Madrapour - Merle, R: Madrapour
Widerspruch zwischen dem Brodeln des Wassers und meinem Seelenzustand, denn das Glücksgefühl beraubt mich diesmal nicht der Ruhe.
Ich weiß nicht, warum die schönsten Augenblicke meistens durch uns selbst ein Ende finden müssen, als wären wir unsere eigenen Feinde. Die Stewardess macht keine Anstalten, sich aus meinen Armen zu befreien: ich löse mich von ihr. Ich gieße etwas kochendes Wasser über den Pulverkaffee und reiche ihr die Tasse.
»Nein, nein«, sagt sie tonlos. »Ich will nicht als erste trinken, noch vor den Passagieren.«
»Trinken Sie«, sage ich streng. »Sie müssen wieder zu Kräften kommen, und sei es nur, um die Passagiere zu bedienen.«
Sie ist zu schwach, um zu widersprechen, und als sie eingewilligt hat, löse ich auch für mich ein wenig Kaffeepulver in dem kochenden Wasser auf. Dicht beieinanderstehend, die Gesichter einander zugewandt, trinken wir schweigend in kleinen Schlucken, während unsere Hände dankbar die große heiße Tasse umspannen.
Die Klimaanlage muß wieder in Gang gekommen sein, denn ich spüre über meinem Kopf einen warmen Luftstrom. Ich habe drei Stück Zucker in meine Tasse getan, und ich sauge die warme süße Flüssigkeit in einem dünnen Strahl durch die Zähne hindurch ein. Über den Tassenrand hinweg betrachte ich die Stewardess und ihre unergründlichen grünen Augen. Mit allen Fasern meines Herzens fühle ich mich unwiderstehlich zu ihr hingezogen und stelle mir immer wieder die Frage: Warum hat die Stewardess soviel Vertrauen zu mir, soviel Anlehnungsbedürfnis, obwohl ich doch so häßlich bin? O nein, ich werde ihr diese Frage nicht stellen! Das wäre sinnlos. Ich kenne sie: im Ausweichen und im Nichtantworten ist sie unübertrefflich.
Ich schiebe das Wägelchen in die erste Klasse und helfe beim Servieren. Unterdessen stelle ich mit Erstaunen fest, daß sich während unserer Abwesenheit Veränderungen in der Sitzordnung vollzogen haben.
Chrestopoulos hat sich am äußeren Ende des rechten Halbkreises in dem Sessel des Inders niedergelassen. Dadurch ist der Platz rechts von Pacaud frei geworden, den Michou eingenommen hat, wahrscheinlich um von Manzoni wegzukommen. Robbie, dem diese Flucht sehr zustatten kommt, hat Michous Sessel zur Linken des Italieners mit Beschlag belegt, und Madame Edmonde, die sich Robbie auf Grund der paradoxen Idylle, die ich erwähnte, angeschlossen hat, ist einen Platz weitergerückt, so daß jetzt der Platz links neben der Stewardess frei ist.
Wir werden von allen dankbar empfangen, außer von Mrs. Banister, die mich hochmütig fragt: »Mr. Sergius, sind Sie zum Steward befördert worden?«
Ich weiß nicht, was ich von diesem Angriff halten soll, und reagiere nicht darauf, erlaube mir nur einen unfreundlichen Blick. Aber Robbie greift zu den Waffen, nicht so sehr zu meiner Verteidigung als gegen meine Angreiferin. Er beugt sich vor, um Mrs. Banister sehen zu können, und sagt:
»Ich dachte, daß derartige Bemerkungen aufgehört hätten, seitdem Madame Murzec nicht mehr da ist.« Und da Mrs. Banister nicht antwortet, fügt er ebenso bissig wie hinterhältig hinzu: »Sie werden sich damit abfinden müssen, daß die Männer, für die Sie sich nicht interessieren, sich für wen anders interessieren.«
Der Hieb sitzt.
»Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ich von Ihnen in dieser Beziehung nie etwas erwartet habe«, erwidert Mrs. Banister mit heftigem Blinzeln ihrer japanischen Augen.
»Dann machen Sie doch nicht so ein enttäuschtes Gesicht«, sagt Robbie tückisch.
Er schüttelt seine blonden Locken, glättet das orangefarbene Halstuch und wirft Manzoni, der sich bei diesem Wortwechsel heraushält, als beträfe er ihn überhaupt nicht, einen triumphierenden Blick zu.
Madame Edmonde legt schützend ihre Hand auf Robbies Arm.
»Ach laß doch, Robbie«, sagt sie betont vulgär. »Du siehst doch, was das für eine Pute ist!«
Daß Madame Edmonde Robbie bereits mit einem Ausdruck liebevoller Inbesitznahme duzt, obwohl zwischen ihnen schwerlich von Seelenverwandtschaft die Rede sein kann, übertrifft alle Vorstellungskraft. Sogar Caramans ist erstaunt.
Während des Imbisses redet niemand außer Pacaud, der Bouchoix zu essen drängt, aber ohne Erfolg. Bouchoix, der sichtlich erschöpft ist, schafft es mit Mühe, eine halbe Tasse Tee zu trinken, und auch das nur mit Hilfe seines Schwagers.
Während ich selbst mit Heißhunger esse und bald auch nicht mehr friere, sondern mich wohlig warm fühle, beobachte ich die beiden
Weitere Kostenlose Bücher